Hrabal-Ichs   Ich bin ein Baum im Wald, mit den Ästen stoße ich derart gegen die Äste der anderen Bäume, daß wir uns ineinander verflechten, wir verkrüppeln dank unserer Koexistenz, und diese wechselseitige Verstümmelung ist das Wesen des Waldes. Um in die Höhe zu gelangen, muß man zuerst die Gipfel erreichen. Wie die Sonne habe ich eine reale Möglichkeit, in den obersten ausgestreckten Zweiglein den niederfallenden Tau, den Regen, die Sterne und alle Phasen des Nachtmonds aufzufangen. Wir sind ein proletarischer Wald mit der universitär universellen Möglichkeit, jeden Baum zum Mittelpunkt der Welt werden zu lassen. Wir sind ein Chor der Seligen, aneinandergedrängt auf dem Tympanon über dem Portal einer romanischen Basilika, ein Chor seliger Engel, ein Chor zusammengepferchter Trinker im Weißen Schwan von Krc, wo jeder nur die Hand frei hat, mit der er sein Pilsner in die Höhe stemmt.  - (hra2)

Hrabal-Ich (2) bin ein Verehrer der Sonne in Gartenwirtschaften, ein Trinker des sich auf dem nassen Pflaster spiegelnden Mondes, aufrecht und gerade schreite ich einher, wogegen meine Frau, zwar nüchtern, zu Hause torkelnd Fehlleistungen vollbringt, die humoristische Deutung von Heraklits Panta rhei rinnt durch meine Kehle, und jede gastliche Runde auf der Welt ist ein Rudel Hirsche, deren Geweihe sich durch ihre Gespräche ineinander verhakt haben, die große, aus Dingen und menschlichen Schicksalen wehende Inschrift Memento mori ist der Grund zum Trinken sub specie aeternitatis, die Wolschaner Friedhöfe, das Pankrác-Gefängnis und der Polizeiposten in der Bartholomäusgasse ebenso, darum bin ich ein Dogmatiker der Allergie in fluidem Zustand, die Theorie der Eiche und des Schilfrohrs ist meine treibende Kraft, ich bin ein erschrockener menschlicher Aufschrei, den eine Schneeflocke zusammenbrechen läßt, ständig bin ich in Eile, um zwei, drei Stunden täglich tatenlos tätig zu träumen, weil ich sehr wohl weiß, daß das menschliche Leben kurz ist und vergeht, wie man Karten mischt, und daß es vielleicht besser wäre, man würde mich in ein Taschentuch werfen und auswaschen, ich gebärde mich manchmal, als schnupperte ich hoffnungsvoll an einer Million, obwohl ich natürlich weiß, daß ich zuletzt einen lachenden Scheißdreck gewinne, daß die ganze Herrlichkeit mit einem Samentropfen begonnen hat und in Feuerprasseln enden wird, von so schönen Anfängen zu einem so schönen Ende, hinter einem hübschen Gesichtchen darf man den lustigen Gevatter Tod lieben, ich gieße Blumen, wenn‘s regnet, im schwülen Juli ziehe ich den Dezemberschlitten hinter mir her, und um mich abzukühlen, vertrinke ich an heißen Sommertagen das Geld für die Kohle, die mich im Winter wärmen sollte, ich zittere vor Angst, weil die Menschen nicht zittern, wie kurz das Leben doch ist, so wenig Zeit für Torheit und Trunkenheit, solange man die Zeit noch hätte, den vormittäglichen Kater erlebe ich keineswegs als Muster ohne Wert, sondern als das Absolute des poetischen Traumas mit einem Hauch von Unstimmigkeit, die es zu genießen gilt wie eine heilige Gallenkolik, ich bin ein dichtbelaubter Baum voll aufmerksamer, lächelnder Augen, die stets im Zustand der Gnade und der gekoppelten Achsen von Zufall und Unfall verharren, welche Freude, junge Zweige am alten Stamm, welche Wonne, auf jungen Zweigen das Lachen kaum geborener Blätter, mein Klima ist das wechselhafte Aprilwetter, ein bekleckertes Tischtuch ist mein Banner, in dessen gewelltem Schatten ich nicht nur diese fröhliche Euphorie durchlebe, sondern auch den Absturz und die Auferstehung von den Toten, diesen dumpfen Schmerz im Nacken, das gräßliche Zittern der Hände, mit den eigenen Zähnen ziehe ich mir die Glassplitter und die Reste der gestrigen wilden Nacht aus den Pratzen, jeden Morgen wundere ich mich, daß ich noch nicht gestorben bin, dauernd bin ich im Verzug und befürchte, ich könnte abkratzen, bevor ich nach Belieben meinen Spleen ausgelebt habe, ich sehe mich nicht als Rosenkranz, sondern als Glied der zerrissenen Kette des Lachens, die zarteste Pimpernuß bestimmt die Stärke meiner üppigen Phantasie, in mir ist etwas Kastriertes, etwas, das da ist und zugleich in die Vergangenheit zurückweicht, um in großem Bogen in die Zukunft katapultiert zu werden, die dann immerfort vor meinen gierigen Lippen und Augen zurückzuckt, bis ich schiele und isländischen Kalkstein doppelt sehe, heute ist gestern und vorgestern übermorgen, deshalb bin ich Erzeuger überstürzter synthetischer Urteile, Koster und Erprober gepanschten Raums, Sklerose, Demenz und Kindergeplapper betrachte ich als Anfang möglicher Entdeckungen, und durch Verspieltheit und Spiel verwandle ich ein Tränental in Lachen, ich beschwöre die Wirklichkeit, doch sie gibt mir nicht immer ein Zeichen, ich bin ein scheuer Rehbock auf der Rodung dreister Erwartung, bin die feste, durch den Blitz der Erkenntnis gesprungene Glocke der Imbezillität, die Objektivität erlangt bei mir äußerste Subjektivität, die ich als Zuwachs an Natur- und Gesellschaftswissenschaften betrachte, ich bin ein negatives Genie, ein Wilddieb in den Jagdgründen der Sprache, ich bin Förster humorvoller Inspirationen, vereidigter Wächter auf den Feldern anonymer Anekdoten, Mörder guter Einfälle, Teichmeister fragwürdiger Fischbehälter der Spontaneität, ewiger Amateur und Dilettant der Debilität und der Pornographie, Heroe des denkenden Unverstands, voreiliger Kreuzherr verfrühter Parallelen, der eine mit der Butter der Unendlichkeit bestrichene Schnitte essen und aus dem Bierkrug die Sahne der Ewigkeit trinken will, jetzt gleich, jetzt und niemals sonst und folglich niemals, die fehlerhafte Auslegung der Worte Christi macht für mich den Reiz der apostolischen Texte aus, in epileptischen Speichel getauchte Brüsseler Spitzen, Eisschollen an den Ufern eines winterlichen Bachs sind meine Zierde, an der man sich verletzen kann, ich bin Depression und Durchhänger und Down, die Vorbereitung auf den Sprung mit dem Kopf gegen die Wand ist der ständig verschobene Versuch, zu sehen, ob ich auch anders leben könnte, als ich bislang gelebt habe, ich bin ein Neurastheniker, der sich prächtiger Gesundheit erfreut, ein Schlafloser, der nur in der Straßenbahn einnickt und sich so bis zur Endstation fahren läßt, ich bin die große Gegenwart kleiner Erwartungen und erwarteter großer Krackser und Kiekser, in der grotesken Ferne flackern vor mir weitere Horizonte winziger Provokationen und Miniaturskandale auf, deshalb bin ich Clown, Animateur, Erzähler und auch Hauslehrer, genauso wie ich ein großer Miesmacher meiner selbst, ein Denunziant und Verfasser anonymer Drohbriefe bin, wertlose Nachrichten betrachte ich als mögliche Präambel zu meiner Verfassung, die ich unablässig ändere, mit der ich niemals fertig werden kann, im Plan eines rasch skizzierten Schattens erblicke ich ein gigantisches Bauwerk, obwohl dieses ein längst zerfallenes Kindergrab ist, ich bin ein jugendträchtiger alternder Herr, Mimik und Sprache sind die bewegliche Grammatik des inneren Jargons, warmer Hackbraten und ein Glas kühles Lagerbier beweisen mir in einer halben Stunde die Transsubstantiation von Materie in gute Laune, welch billige Metamorphose, und das erste Wunder ist auf der Welt, eine auf Freundesschulter gelegte Hand ist für mich die Klinke, mit der man das Tor zur Glückseligkeit öffnet, wo jeder geliebte Gegenstand der Mittelpunkt des Paradiesgartens ist, das Herz der Natur ist der erreichbare Zustand Buddhas, in dem man im Geiste die aufrührerische und störrische Vagina lieben kann, die außerdem in schönste Fleischesfalten gewickelt ist, verbum caro factum est, Kannibalismus auf trockenem Weg ohne Priester und Abitur, die traurigen Kuhaugen, die sich neugierig über den Bordwänden von Lastwagen weiten, sie sind meine Augen, die unmündige Färse, die von Fleischern mit blitzenden Messern erwartet wird, das bin ich, die Meise, die früh an einem frostigen Abend mit ausgerenkten Flügeln in einen Kübel kalten Wassers gepumpt wird, das bin ich, die Flamme, in die die treuen Wespen zurückfliegen, um zusammen mit den anderen im brennenden Nest zu versengen, das vermittelt mir eine ziemlich genaue Idee von der brennenden Honigwabe, die einzig und allein für mich vorbereitet ist, ich bin also korrespondierendes Mitglied der Akademie des Bafelns, Hörer am Lehrstuhl der Euphorie, mein Gott ist Dionysos, der holde trunkene Jüngling, die menschgewordene Fröhlichkeit, mein Kirchenvater ist der ironische Sokrates, der jeden geduldig in ein Gespräch verwickelt, um ihn mit der Sprache und durch die Sprache bis an die Schwelle des Nichtwissens zu führen, mein erstgeborener Sohn ist Jaroslav Hašek, Erfinder der Kneipengeschichte und genialer Lebenskünstler und Schreiber, der die prosaischen Himmel durch Menschengeruch humanisierte und das Schreiben anderen überließ, ohne mit der Wimper zu zucken, starre ich in die himmelblauen Pupillen dieser heiligen Dreifaltigkeit, ohne den Gipfel der Leere zu erlangen, Rausch ohne Alkohol, Wissen ohne Bildung, inter urinas et faeces nascimur, und unsere Mütter scheinen uns mit gespreizten Beinen in Kremationsöfen oder grasbewachsene Gräber hineingeboren zu haben, ich bin ein duch Lachen ausgebluteter Stier, dem jemand das Gehirn wie Speiseeis auslöffelt.

Herr Ober, hätten Sie vielleicht noch ein kleines Gulasch? - (hra2, Leitfaden eines Baflerlehrlings)

Hrabal-Ich (3) In einer Wasserlache sehe ich den Ozean, wenn ich übers Meer fahre, plagt mich die Sehnsucht nach dem Waldteich von Kopidino, in einem Sandhaufen sehe ich Hochgebirge, und als ich auf der Jungfrau stand, hatte ich Heimweh nach dem Semitzer Hügel. Darum bin ich am liebsten daheim, wo ich mich nach der Kneipe sehne, in der Kneipe wiederum denke ich daran, wie schön es zu Hause wäre und dort davon zu träumen, wie ich in die Kneipe gehe, in der ich mich dann wiederum nach meinem schönen Zuhause sehne. Ich bin immer am liebsten da, wo ich gerade nicht bin.  - (hra2)

Hrabal-Ich (4)  Schwäche ist meine Stärke, Niederlage mein Sieg, Treppenhausgedanken sind die wahren Gedanken, die ich vor Gericht zu sagen vergaß, Ängstlichsein ist meine Tüchtigkeit, Verlassensein mein Menschengewimmel, mein Bafeln ist meine Rhetorik, Großstadtfolklore meine Ästhetik, ein entlassener Häftling ist meine Ethik, die Statuten des Bestattungsvereins sind meine zehn Gebote, Kinderspiele meine Ideologie, Feigheit ist meine Kampfkraft, Geilheit meine Reinheit, Heuchelei mein Porträt, permanente Verlassenheit ist meine Pünktlichkeit, Wortbruch meine Treue. So sind alle Mängel und Unsitten meine Magnetnadel, die stets auf den tugendhaft schönen Polarstern weist, dieses reglose, stille Gestirn, um das sich alles dreht...   - (hra2)

Hrabal-Ich (5)  Unablässig denke ich an Dinge, an die normale Menschen erst auf dem Totenbett denken, jeden Tag schreibe ich meinen letzten Willen, nehme mir immer nur das Schöne heraus. Für das Scheußliche bleibt dann noch genügend Zeit im Sarg oder im Spital. Und dennoch habe ich ein gebrochenes Bein, noch bevor ich gestürzt bin, bin krank, solange ich noch gesund bin, täglich sterbe ich, obwohl ich noch auf der Welt bin, ich leide an Paralyse, obwohl ich noch keine habe. Eine Autofahrt ist ein mit der Demolierung meines Wagens gepolsterter Tunnel, alle Bäume haben abgesplitterte Rinden, alle Kilometersteine sind durch den Aufprall meines Wagens herausgerissen, ich stoße mit jedem Fahrzeug zusammen, und jedes entgegenkommende Auto mit mir unter großem Geklirr, und trotzdem fahre ich frohgemut weiter, während ich in Gedanken auf beiden Seiten in den Straßengräben Wracks zurücklasse wie eine besiegte Armee auf der Flucht. Ich bin auch im Gefängnis und in Untersuchungshaft, noch bevor ich verhaftet werde, und ich verurteile mich selber, noch bevor der Richterspruch über mich verkündet wird, denn ich hatte alles begehen können und habe es, dank meiner Eigenschaft, stets alles auf mich zu beziehen, auch begangen. Ich bringe mich selbst an den Galgen für ein Verkehrsvergehen, gebe mir lebenslänglich für ein Gespräch mit einem Ausländer übers Wetter, und ich durchlebe, obwohl tiefer Frieden herrscht, alle Phasen eines Krieges, der täglich neu ausbricht.  - (hra2)

Hrabal-Ich (6)  Ich bin ein bedeutungsloser Sklave des Unendlichen. Jeden Tag werde ich geköpft, jeden zweiten Tag erstehe ich von den Toten auf, einmal in der Woche fahre ich gen Himmel und werde in den Himmel gehoben, einmal im Monat feiere ich die Verkündigung, einmal pro Quartal werde ich vom Heiligen Geist heimgesucht, jeden zweiten Tag werde ich gefoltert und seliggesprochen, und einmal pro Jahr bin ich nüchtern. Ist das nicht alles, wenn auch in Miniatur, ein Beweis dafür, daß ich trotz allem ein Geschöpf Gottes bin?  - (hra2)

Hrabal-Ich (7)  Wenn ich mit dem Spaten die Erde umgrabe, kommt es mir vor, als fahre der Spaten krachend in meinen Brustkorb, wenn ich das Gemüsebeet hacke, kommt es mir vor, als haue ich mir die Hacke in den Kopf, wenn ich in der Sonne die Beete gieße, kommt es mir vor, als stehe ich in prasselndem Regen, wenn ich die Tomatenstangen in den Boden stecke, kommt es mir vor, als treibe ich mir ei­nen Pfahl ins Herz, wenn ich Weidenästchen für eine Ostergerte schneide, kommt es mir vor, als schneide ich mir die Finger ab. Jede meiner Handlungen fällt auf mich zurück, und so bin ich tagtäglich Zeuge und Urheber meiner Dramen. Erlöst werde ich einzig und allein durch die Liebe zu den Katzen, obwohl ich sie jeden Tag am liebsten erschießen würde. Wer aber wollte nicht Gott erschießen, wenn man ihn treffen könnte? - (hra2)

 

Ich Poet

 

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