Hotelnachbar  Ich beschloß vernünftigerweise, wieder ins Bett zu gehen, nicht ohne ein letztes Mal das Ohr an die Wand zu legen. Die so sanfte Peruanerin war rauher geworden. In einem endlosen Satz, in dem es keine Pausen gab und der ein Seufzer war, wiederholte sie: »Ich schwöre dir ich schwöre dir ich schwöre dir ich schwöre dir.« Mit einer sardonischen Grimasse murmelte ich: »Nie wird ein so inniger Schwur so schnell vergessen werden.« Die Angst, man könnte mich gehört haben, lahmte mich. Hatte ich laut gesprochen? Einen Augenblick lang herrschte im Nebenzimmer Stille. Ich möchte jedenfalls behaupten, daß es still war, aber dann ging der Streit weiter, und schlimmer als zuvor.

Dann bemerkte ich einen seltsamen Umstand: die Peruanerin schrie, seufzte, keuchte, schnaubte - ja, schnaubte wie eine Robbe im Wasserbecken im Zoo -, und ihr galt mein Mitgefühl, niemals ihrem schweigsamen Gefährten, der sich nur von Zeit zu Zeit bemerkbar machte, und dann auf eine widerwärtige Art, wie ein fetter Schwachsinniger, der geifernd im Todeskampf liegt.

Die Lage, wer will das bezweifeln, war überreich an Einzelheiten, die dazu angetan waren, einen zutiefst humanen Menschen in Aufregung zu versetzen. Es war noch ein Glück, als ich witzig wurde: ich nahm mir mit einem verrückten Gelächter den Scherz vor, unter der Tür eine Visitenkarte durchzuschieben, auf der nicht nur mein Vor- und Zuname stand, sondern auch meine Stellung in der Fabrik, und auf die ich schreiben wollte: Señor, wenn Sie ihrer müde werden-geben Sie sie mir? Schlimm war es, als ich mich ärgerte. Wenn Sie sich das Ausmaß meines Zorns vorstellen könnten, würden Sie erschrecken. In meiner Wut wünschte ich mir mit düsterem Frohlocken den augenblicklichen Triumph des Kommunismus, ich nannte meinen Nachbarn einen Schurken und wollte ihm die Frau wegnehmen. Ich schluckte meinen Zorn und murmelte: »ich habe doch auch meine Dicke«, was nicht dasselbe und dazu in diesem Augenblick so fern war, daß es sich in eine reine Vermutung verwandelte. Dann verglich ich mich mit der armen Pelusa - aus einem Kinderbuch, das mir meine Dicke genehmigt hatte, mehr oder weniger als Schmuggelware -, ich verglich mich mit der armen Pelusa, als sie vor den hohen Palastmauern ankommt, die für sie aus durchsichtigem Glas sind, das Festgelage betrachtet, ruft und nicht gehört wird. Ich hielt es nicht mehr aus, warf mich ins Bett und zog mir die Decken über, die viel zu dick waren.

Die Anstrengung, Luft zu bekommen, und die Hitze ließen mir so sehr das Blut in den Kopf steigen, daß ich, als ich Licht machte und mich im Spiegel betrachtete, an Röteln oder Masern erkrankt zu sein glaubte, eine Hypothese, die sich zum Glück nicht bewahrheitete.

Ohne die Decken atmete ich frei, aber dafür hörte ich wieder das Paar. Was murmelte jetzt die Peruanerin? Sie seufzte mit ihrer sehr rauhen Stimme: »Ich sterbe ich sterbe ich sterbe ich sterbe.« Beinahe hätte ich ihr zugerufen: »Wenn Sie es nur, bitte, einmal tun wollten!« Ich suchte Zuflucht im Hinkenden Teufel, aber ich hörte sie noch. Ich suchte Zuflucht im Schlaf. Ich löschte das Licht, schloß die Augen, versuchte zu meditieren; ich hörte sie immer noch. In gerade dem Augenblick, in dem ich den Nachbarn leise meine Schlaflosigkeit vorhalten wollte, bemerkte ich, daß sie, wie ihr abwechselndes Schnarchen verriet, endlich schliefen. Voll Widerwillen sagte ich mir: »Das müssen animalische Subjekte sein«, um sogleich hinzuzufügen: »Schweine.«

Weit davon, erleichtert zu sein, war ich gereizt über die beinahe vollkommene Stille, die im Nebenzimmer eintrat. Warum soll ich es leugnen? Jetzt vermißte ich diesen so fein abgetönten Lärm.  - Adolfo Bioy Casares, Die fremde Dienerin. Frankfurt am Main  1983

 

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