Horizont (2)
Horizont (3)
Die derzeit populärste kosmologische Theorie
spricht von einem ›inflationären‹ Universum und sagt voraus, dass
sich die Welt jenseits des Sichtbarkeitshorizonts
sehr von der unterscheidet, die wir sehen können. Während das sichtbare
Universum in alle Richtungen relativ ›glatt‹ und gleichmäßig mit
zu Sternen und Galaxien zusammengeballter Materie gefüllt ist, expandiert
das Universum weit hinter dem Horizont völlig anders. Seine Dichte, seine
Temperatur, ja sogar seine Naturgesetze und die Zahl der Dimensionen seines
Raums und seiner Zeit unterscheiden sich von denen um uns herum. Das Modell
vom inflationären Universum beschert uns zum ersten Mal einen Grund für
die Annahme, dass im Universum nicht alles
überall gleich ist. - (bar2)
Horizont (4) Auf der Erde bezeichnet
der Horizont die Grenze zwischen Himmel und Erde, jenseits derer das Licht
eines Leuchtturms, eines Gewitters oder der untergehenden Sonne nicht
mehr zu uns gelangen kann. Für den Archäologen
sind Horizonte Schichten im stratigraphischen Profil einer Fundstätte,
die durch ein bestimmtes Kulturinventar gekennzeichnet sind. Auch der Tod
kann als Horizont unseres Lebens angesehen werden. -
(thes)
Horizont (5) Kultur
entstehe erst durch die Entdeckung des Horizonts. Der Horizont sei dabei nicht
nur ein banaler Strich, mit dem sich Perspektive
konstruieren lasse, sondern Demarkationslinie des metaphysischen Bewußtseins.
Der Horizont erst mache ein Bewußtsein über Tod und Vergänglichkeit möglich,
so daß sich Religion, Sehnsucht und Begierde alle gleichermaßen dem Horizont
verdankten. Der Horizont schiebe sich durch das Gesichtsfeld und trenne in Ich
und Du, denn erst durch ihn begreife man, daß Dinge an ihm auftauchten und gleichermaßen
wieder hinter ihm verschwänden, ohne daß man sie fassen oder ihr Auftauchen
und Verschwinden beeinflussen könne. Mit dieser Erkenntnis entwickele sich eine
Art transhorizontales Wertesystem, das die ruhigen Tage der schönen Wilden ein
für alle Mal beende. Von da an gehe es nur noch um Wertsteigerung und Monopolbildung.
Um der Idee des Horizonts jedoch die für jede Idee nötige Selbsterhöhung und
Transzendenz zu verleihen, werde der Horizont als erstes mit Verwaltungsgebäuden
zugebaut und verborgen. Müsse man sich zum Beispiel erst in ein Flugzeug setzen,
um den eigenen Horizont zu überwinden, so steige durch diese Überwindung der
Wert des Angestrebten mit jeder Flugminute, obgleich sich dieser Wert aus der
Überwindung der Bodenhaftung und nicht aus der Besonderheit des Entfernten herleite.
- (rev)
Horizont (6) Wir setzten uns auf den
Gipfel des schwarzen Rückens und schwiegen. Zu unseren Füßen mündete unser Sandtal
in eine Sandwüste ohne Steine, deren blendende Helle uns in den Augen brannte.
So weit man sehen konnte, breitete sich hoffnungslose Leere. Nur an der Grenze
des Himmels führte uns das Spiel des Lichts seine Spiegelungen
vor. Die waren jetzt ernsthafter, nahmen die Gestalt von Festungen an, von Minaretten
in strenggeformten Massen mit senkrechter Linienführung. Ich bemerkte sogar
einen großen schwarzen Flecken, der Pflanzenwuchs zu sein schien. Aber über
ihm lagerte die letzte der Wolken aus der vergangenen Nacht. Der schwarze Fleck
in der Landschaft war also nur der Schatten einer Haufenwolke. - Antoine de Saint-Exupéry, Wind, Sand und Sterne.
Düsseldorf 1976 (zuerst 1939)
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