olzbein  Kolarík hat ein Holzbein und ist nett, wenn also Winter ist und er Besuch bekommt, verheizt er dieses Holzbein und geht am nächsten Morgen zum Sozialdienst, um ein neues zu fassen. Unlängst saß er im Pinkas, das Bein auf dem Tisch schimpfte er, man habe ihm eins gegeben, das zwei Nummern zu groß war, und dann schnitzte er diesen Holzfuß mit einem Messer so lange zurecht, bis er in den Schuh paßte. Einmal brach Herr Kolarík vom Pinkas, wo er seit dem frühen Morgen saß, in die literarische Weinstube Viola auf, um sich Gedichte anzuhören. Es war ausverkauft, und als der Pförtner sah, wer sich da näherte, verriegelte er vorsichtshalber die Tür. Aufmachen, befahl Herr Kolarík. Es ist ausverkauft, sagte der Pförtner. Aufmachen, wiederholte Herr Kolarík drohend, packte die Gitterstäbe und zog sie dank seiner Kraft so auseinander, daß sie zerbrachen. Der Pförtner öffnete und sagte weinerlich, Herr Kolarík, ich weiche nur der brutalen Gewalt, gegen die Intelligenz machtlos ist. Herr Kolarík nahm das Bein ab, und während er dem Pförtner damit drohte, betrat er die Viola ohne Eintrittskarte und legte das Bein auf den Tisch. Und weil er noch Wein getrunken und Jessenins Versen gelauscht hatte, war er danach so erledigt, daß er, als er den Raum als letzter verließ, zu Boden plumpste, der Pförtner hockte sich rittlings auf ihn und rief in Richtung Garderobe, Blazo, sperr sofort zu, ich hab ihn unschädlich gemacht, und ruf sofort die Patrouille, Blazo, da siehst du, wie die Intelligenz die brutale Gewalt besiegt. Aber jetzt ist Schluß mit dem Holzbein, Schluß mit dem Verheizen und sich Wärmen an der Prothese, es ist Schluß mit dem Ritual im Pinkas, wenn Herr Kolarík mit dem Messer den Holzfuß zurechtschnitzt, damit er in den Schuh paßt und wie angegossen sitzt. Nachdem er sein Holzbein nämlich gestern für ein schönes Fräulein zerhackt hatte, damit sie sich wärmen konnte, und am Morgen ein neues holen gegangen war, kam er stocksauer in die Pinkas-Bierstube gelaufen und schrie. Die haben mir den Rest gegeben, die Vandalen, der Teufel hole den Fortschritt! Zum Beweis nahm er sein Bein ab, und als er damit auf den Tisch schlug, hieb er ihn fast entzwei, Herr Kolarík schrie: Einen harmlosen Menschen so zu verarschen, die haben mir eine Nickelprothese gegeben! - (hra2)

Holzbein  (2)  Alice, die neben mir sitzt, erzählt von einem Huhn, das der Liebling ihrer Mutter war. Da sie auf Montmartre wohnten und weder Hof noch Garten hatten, schlief das Huhn auf dem Speicher. Eines Nachts nun geschah es, daß eine Ratte ihm eine Pfote abbiß. Alicens Mutter tat das Ärmste leid, sie liebte das Huhn nur um so mehr und schnitzte ihm aus einer Latte ein Holzbein, das, rasch befestigt, das Tier in den Stand setzte, wieder herumzulaufen, und hinfort hörte man im Hause von früh bis spät, von oben nach unten und von unten nach oben das Gehinke des Huhns, das zu seiner Unterhaltung unablässig treppauf und treppab lief.   - Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten. Stuttgart 1984 (zuerst 1947)

Holzbein  (3)

MUTTER BEIMLEN

Mutter Beimlen hat ein Holzbein
Damit kann sie ganz gut gehn
Und mit 'nem Schuh, und wenn wir brav sind

Dürfen wir das Holzbein sehn.
In dem Bein, da ist ein Nagel
Und da hängt sie den Hausschlüssel dran

Daß sie ihn, wenn sie vom Wirtshaus heimkommt
Auch im Dunkeln finden kann.
Wenn Mutter Beimlen auf den Strich geht

Und sie bringt 'nen Freier nach Haus
Dreht sie das Elektrische, bevor sie aufschließt
Auf dem Treppenabsatz aus.

 - (breg)

Holzbein  (4)

Holzbeine

Nach dem Essen schauten Colonel Gilbert und seine Frau Louise herein.
Beide hatten ein Holzbein, mit dessen Hilfe sie allerhand Unterhaltsames vorführen konnten.

- Edward Gorey, Das Geheimnis der Ottomane. Ein pornographisches Werk. Nach (gold)

Holzbein  (5)  Der Ort, der mich am meisten aufregte, war ein Zimmer in der Nähe des Boulevard Clichy. Du erinnerst dich vielleicht, daß an der Ecke immer eine stadtbekannte Hure stand, die ein Holzbein und viele Freier hatte. Ich habe sie oft beobachtet und wollte sie ansprechen, aber ich hatte nicht den Mut, mit ihr ins Bett zu gehen, weil ich dachte, der Anblick ihrer Prothese würde mich sofort impotent machen. Sie war immer gut gelaunt, eine einladend lächelnde junge Frau mit blondgebleichtem Haar, aber tiefschwarzen, buschigen Brauen, wie die eines Mannes. Auf ihrer Oberlippe wuchs ein dunkler Flaum. Jedenfalls war sie von Natur aus brünett, hatte einen starken Haarwuchs und stammte wahrscheinlich aus dem Süden. Ihr gesundes Bein war stämmig und fest, ihr Körper durchaus schön. Aber ich konnte mich nicht überwinden, sie anzusprechen. Ich sah sie an und dachte dabei an ein Bild von Courbet, das ich einmal gesehen hatte, ein Gemälde, das er für einen Mäzen gemalt hatte, der eine Frau beim Geschlechtsakt abgebildet sehen wollte. Du weißt ja, daß Courbet ein großer Realist war. Deshalb malte er das Geschlecht einer Frau, sonst nichts. Er ließ Kopf, Arme und Beine weg, er malte nur einen Rumpf mit einer sorgfältig dargestellten Möse, der sich wollüstig wand und sich einem aus einem schwarzen Busch herauskommenden Schwanz entgegenbäumte.

Weiter nichts. Ich stellte mir vor, daß es mit dieser Hure ähnlich sein könnte. Ich mußte nur immer an ihre Fotze denken, mußte mir Mühe geben, ihr nicht auf die Beine zu sehen, sie überhaupt nirgends zu betrachten. Vielleicht  könnte das reizvoll sein.  - (nin)

Holzbein  (6)  Ein übler Kerl, der nie 'ne Gelegenheit versäumte, einem eins auszuwischen. Vor allem mich hatte er immer bis aufs Blut schikaniert. Kam mir vor wie Schicksal, daß gerade er da stand, so könnt' ich auch diese Rechnung begleichen, eh' ich die Insel verließ. Er kehrte mir den Rücken, und sein Karabiner baumelte ihm über die Schulter. Ich sah mich nach einem Stein um, fand aber keinen geeigneten.

Da kam mir ein komischer Gedanke; ich wußte, wie ich zu einer Waffe kommen konnte. Schon hockte ich mich hin, in der Dunkelheit, und band mein Holzbein ab. Mit drei Sätzen, immer auf dem gesunden Bein, war ich bei ihm. Er legte schon an, aber ich war schneller, ich traf ihn mit voller Wucht und schlug ihm den Hirnkasten ein. Sie können jetzt noch die Stelle am Holz sehen. Wir stürzten beide zu Boden, denn auch ich konnte keine Balance halten; als ich mich dann aber mühsam wieder hochgerappelt hatte, blieb er ruhig liegen, ganz ruhig. Ich kletterte ins Boot, und eine Stunde später waren wir auf hoher See.  - Sir Arthur Conan Doyle, Im Zeichen der Vier. Frankfurt am Main - Berlin 1972

Holzbein  ()  

Das Holzbein

FRED hatte sich ein Holzbein vorgeschnallt
Und hockt am Kaufhaus, wo die Droschken stehn.
Nach hinten greift er mit den freien Zeh'n.
Es reicht DER FREUND ihm aus dem Kellerspalt

Das Kontobuch mit dem Bilanzvergehn.
Notizen in der Zeitung „Volksgewalt".
Dem Aufsichtsrate wird es heiß und kalt.
Der Aktiensturz läßt sich nicht übersehn.

Zwei Ledersessel vor dem Samowar.
Direktor Clifford bietet immer mehr.
(In faulen Wechseln. — Fred besteht auf bar. —)

Der Handel schwankt gerissen hin und her.
Ruin? Fred lacht gefährlich wie ein Zar:
Schlag zwölf Uhr ist er Kaufhaus-Sozietär.

- Ludwig Rubiner, Friedrich Eisenlohr, Livingstone Hahn: Kriminalsonette. München 1979 (zuerst 1913)


Holz Bein

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Verwandte Begriffe
Prothese

Synonyme