Dolophrase    1. Ist das erste Geständnis einmal abgelegt, besagt ein »ich liebe dich« nichts mehr; es greift lediglich auf rätselhafte Weise (so leer ist sie!) die alte Botschaft wieder auf (über die diese Worte wahrscheinlich nicht hinausgehen). Ich wiederhole sie, ungeachtet aller Angemessenheit; sie läßt die Sprache hinter sich, verflüchtigt sich, wohin?

Ich kann den Ausdruck nicht zergliedern, ohne zu lachen. Was! es gäbe also einerseits ein »ich«, andererseits ein »du« und dazwischen ein vernünftiges (weil lexikalisches) affektives Bindeglied? Wer spürte nicht, wie sehr eine solche Dekomposition, wenn sie auch mit der linguistischen Theorie übereinstimmt, entstellt, was doch in einer einzigen Regung hervorgestoßen wird? Lieben existiert nicht im Infinitiv (es sei denn durch einen metalinguistischen Kunstgriff): Subjekt und Objekt kommen zur gleichen Zeit zu Wort, wann immer dies Gebilde ausgesprochen wird, und ich-liebe-dich muß beispielsweise nach Art des Ungarischen aufgefaßt (und hier auch gelesen) werden, das, mit einem einzigen Wort, szeretlek sagt, so als ob das Französische, seine schöne analytische Tugend verleugnend, eine agglutinierende Sprache wäre (und um Agglutination handelt es sich hier durchaus). Die geringfügigste syntaktische Veränderung bringt diesen Komplex zum Zerfall; er steht sozusagen außerhalb der Syntax und eignet sich zu keinerlei strukturaler Transformation; er kommt in nichts seinen Substituten gleich, deren Kombination doch den gleichen Sinn ergäbe; ich kann tagelang ich-liebe-dich sagen, ohne vielleicht je den Übergang zum »ich liebe ihn« zustandezubringen: ich wehre mich dagegen, den Anderen durch eine Syntax, eine Prädikation, eine Sprache hindurchgehen zu lassen (der einzige Höhenflug des ich-liebe-dich ist die Anrede, die Erweiterung durch einen Vornamen: Ariadne, ich liehe dich, sagt Dionysos).

2. Ich-liebe-dich ist stellenlos-unbestimmt. Das Wort ist, nicht mehr als das des Kindes, keinem sozialen Zwang unterworfen; es kann ein sublimes, feierliches, leichthingesprochenes, es kann ein erotisches, pornographisches Wort sein. Es ist ein Wort, das gern die gesellschaftlichen Tapeten wechselt.

Ich-liebe-dich ist nuancenlos. Es hebt die Erklärungen, die Planungen, die Rangstufen, die Skrupel auf. Unerhörtes Paradoxon der Sprache: auf bestimmte Weise ich-liebe-dich sagen heißt so tun, als gebe es keinerlei Theater der Rede, und dieses Wort ist immer wahr (es hat keinen anderen Referenten als seine Aussprache: es ist ein Performativ).

Ich-liebe-dich ist ohne Anderswo. Es ist das Wort der (mütterlichen, liebenden) Dyade; keine Entfernung, keine Verunstaltung spaltet an ihm das Zeichen ab; es ist keine Metapher für irgend etwas,

Ich-liebe-dich ist kein Satz: es übermittelt keinen Sinn, hängt aber eng mit einer Grenzsituation zusammen: derjenigen, »in der das Subjekt einer Spiegelbeziehung zum Anderen ausgesetzt ist«. Es ist eine Holophrase (ein nicht zerlegbarer Satz).  - (barthes)

Satz

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