offnung ist die Verwechselung des Wunsches einer Begebenheit mit ihrer Wahrscheinlichkeit. Aber vielleicht ist kein Mensch frei von der Narrheit des Herzens, welche dem Intellekt die richtige Schätzung der Probabilität [Wahrscheinlichkeit] so sehr verrückt, daß er Eins gegen Tausend für einen leicht möglichen Fall hält. Und doch gleicht ein hoffnungsloser Unglücksfall einem raschen Todesstreich, hingegen die stets vereitelte und immer wieder auflebende Hoffnung der langsam marternden Todesart. - (schop)

Hoffnung (2) »Eine Krypta ist ohnehin nicht billig«, sagte der Beamte. »Schon gar nicht in einer Hauptstraße.« »Sie muß nicht in einer Hauptstraße liegen«, sagte der Kunde. »Wichtig ist nur, daß sie betoniert ist.« »Betoniert?« stutzte der Beamte. »Das ist ungewöhnlich. Aber möglich.«

Er legte die gedruckte Preisliste beiseite. Auf einem Stück Papier überschlug er schnell die Kosten; eine betonierte Krypta, ohne Grabstein - selbst in der Nebenstraße kam man noch auf einen stolzen Preis. Der Kunde aber verkündete, das sei kein Problem. Er kaute an den Nägeln. Er dachte nach. »Außerdem«, sagte er, »brauchen wir ein Rohr.« »Was für ein Rohr?« fragte der schwarzgekleidete Beamte. »Ich weiß auch nicht. So was wie einen Schornstein. Einen Schlot. Wie auf Schiffen. Oder wie es sie in Weinkellern gibt.«

Der Ingenieur, den der Beamte hinzurief, war etwas schwer von Begriff. Er ließ sich die Sache gleich zweimal erklären, und selbst dann war er noch skeptisch. »Woraus soll denn dieses Rohr sein, wenn man fragen darf?« erkundigte er sich.

»Das müssen schon Sie wissen«, sagte der Kunde. Allmählich verlor er die Geduld.

»Ist Schiefer in Ordnung?« fragte der Ingenieur. »Oder sollen wir es mauern? Oder soll es einfach aus irgendeinem Metall sein?«

»Was empfehlen Sie?« fragte der Kunde. »Ich verstehe zwar gar nichts mehr, aber am naheliegendsten wäre Schiefer«, sagte der Ingenieur.

»Gut, dann aus Schiefer«, sagte der Kunde und betrachtete nachdenklich den schwerfälligen Ingenieur. »Außerdem«, sagte er dann, »muß die Krypta ans Stromnetz angeschlossen werden.«

»Ans Stromnetz?« Nun starrten ihn beide an. »Wozu brauchen Sie denn da Strom?«

»Was für eine Frage«, sagte der Kunde ärgerlich. »Damit es nicht dunkel ist.« - Istvàn Örkény, Minutennovellen. Frankfurt am Main 2002 (BS 1358, zuerst 1991)

Hoffnung (3) Eines Tages hatte ein Mann eine Verabredung mit einer Frau im Café Florian in Venedig, abends um halb acht. Es war zu Beginn des Sommers, und beide waren sie in einem besonderen Alter, er vierzig, sie fünfunddreißig, in dem sich viele Dinge in der Seele des Menschen ereignen können, es jedoch besser ist, wenn sie nicht geschehen, denn es ist spät, und es ist unnütz sich einzubilden, wieder jung zu sein. Dennoch hatten die beiden, vielleicht ohne es zu wissen, große Lust, wieder jung zu sein, und sie ließen sich auf ihren gerade begonnenen kleinen Flirt wie auf ein Spiel ein, tief im Innern jedoch mit einer gewissen Hoffnung. - Goffredo Parise, Alphabet der Gefühle. Berlin 1997 (zuerst 1972, 1982)

Hoffnung (4)

hoffnung

in die effnung
vier dein glied ein
glicklich zu sein

glick

glick

 - Ernst Jandl, nach: Dein Leib ist mein Gedicht. Deutsche erotische Lyrik aus fünf Jahrhunderten. Hg. Heinz Ludwig Arnold, Frankfurt am Main u.a. 1973

Hoffnung (5) Plötzlich wurde es still. Durch die Pfosten der Guillotine sah Lamont, wie sich das Tor langsam öffnete und eine aufrechte, steife Gestalt im undeutlichen Morgenlicht unerbittlich näherkam.

»Sie hat mich im Stich gelassen! Sie hat's nicht geschafft!« Mit einem Mal überkam ihn solche Angst, daß er fast auf der Stelle zusammensackte.

Inzwischen hatte der Scharfrichter den Fuß der Plattform erreicht. Doch irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Sie eilten ihm zu Hilfe.

»Sie hat ihn doch erwischt! Er ist benommen, er torkelt. Er schafft die zwanzig Stufen nie im Leben«, rief sich Lamont ermunternd zu. Eine Weile konnte er ihn nicht sehen, der Rand der Plattform versperrte ihm den Blick. War er gefallen, war er gestorben? Dann knarrte es, und langsam, wie ein Tiefseetaucher aus dem Wasser, tauchte der Scharfrichter, von zwei Männern gestützt, über dem Rand der Plattform auf.

Der Mann mit der roten Nelke übergab die schwarze Tasche. »Setzen Sie das Beil ein.« Er stand nun dort auf der Plattform und gab zu verstehen, daß man ihn loslassen solle. Sein verschwommener Blick ruhte auf Lamont. »Entschuldigen Sie, M'sieur«, murmelte er, »daß Sie so lange warten mußten.«

Lamont konnte nicht antworten. Er starrte nur voller Entsetzen.

Sie hatten das Beil in die Schleuse gesteckt. Das Gewicht wurde heruntergezogen, und das Beil glitt langsam nach oben, wie Quecksilber in einem Thermometer.

»Bereiten Sie den Verurteilten vor.«

Die Hand des Scharfrichters tappte nach Lamonts Schulter. Er hatte nicht mehr die Kraft, ihn hinunterzudrücken, auf die Knie. Es wurde ihm abgenommen.

Wilde, unbändige Hoffnung flammte in Lamont auf. »Er schafft es nie im Leben. Er kann ja nicht mal mehr klar sehn. Sein Blick verschwimmt!«

Ein heiseres Flüstern drang aus dem Mund des Scharfrichters. Es war für Lamont bestimmt, obwohl er ihn nicht mehr genau ausmachen konnte, nicht wußte, wohin er es richten sollte. »Seien Sie tapfer. Sie werden nichts spüren.« Ein Toter tröstete den Sterbenden!

Die obere Hälfte des hölzernen Kragens wurde nun unten auf Lamonts Hals gesetzt, der Korb nach vorn unter sein Gesicht geschoben.

»Noch eine Minute«, sagte Lamont immer wieder zu sich selbst.

»Noch eine Minute. Noch eine Minute, und ich hab' gewonnen! Er fällt ja schon um. Da fällt er, er fällt vornüber! Ich hab' ge...«

Er rief es laut. Der Scharfrichter schlug mit dem Gesicht auf den Boden. Seine Hände, die er im Fallen krampfhaft in Richtung des Todesinstruments gestreckt hatte, streiften in einem Bogen vorbei, faßten nach dem Hebel, der das Gegengewicht löste, ergriffen ihn und zogen ihn mit sich hinunter.

»Ich hab' ge...« Das Gewicht schnellte hoch, das Beil sauste herab und schnitt die Welt entzwei.

Zwei Tote lagen Seite an Seite auf der Plattform. - Cornell Woolrich, Die Stufen zum Schafott. In: Ders., Im Dunkel der Nacht. Kriminalstories. Zürich 1989 (detebe 21759, zuerst ca. 1950)

Hoffnung (6)   Epimetheus war über das Geschick seines Bruders bestürzt. Er zögerte nicht lange, Pandora zu heiraten. Zeus hatte sie so dumm, böswillig und faul gemacht, wie sie schön war — die erste einer langen Reihe solcher Frauen! Ein Kästchen, das Epimetheus von Prometheus mit der Warnung erhalten hatte, es geschlossen zu halten, öffnete sie. Alle Übel, von denen die Menschheit geplagt wird, hatte der Weise darin eingesperrt: Alter, Wehen, Krankheiten, Irrsinn, Laster und Leidenschaften. Sie entflohen augenblicklich in einer Wolke, stachen Epimetheus und Pandora in alle Körperteile und fielen über sämtliche anderen Sterblichen her. Die trügerische Hoffnung jedoch, die Prometheus auch in das Kästchen gesperrt hatte, hielt die geplagten Menschen davon ab, all ihrem Leid durch freiwilligen Tod ein Ende zu setzen. - (myth)

Hoffnung (7)  Huygens spricht nicht von „Wahrscheinlichkeit", sondern von „Erwartungswert" („Werth der Hoffnung"), von einem Begriff, der zu den Grundlagen der modernen Zuverlässigkeitstheorie gehört. Er definiert den „Erwartungswert" folgendermaßen:

„Wenn die Anzahl der Fälle, in denen ich die Summe a erhalte, gleich p und die Anzahl der Fälle, in denen ich die Summe b erhalte, gleich q ist, und ich annehme, daß alle Fälle gleich eintreten können, so ist der Werth meiner Hoffnung gleich  

- Vladimir Petrovič Karcev und Petr Michailovič Chazanovskij, Warum irrten die Experten? Unglücksfälle und Katastrophen aus der Sicht rechnischer Zuverlässigkeit. Berlin 1990 (zuerst 1980)

Hoffnung (8)  frage: worauf hoffen?

es gibt nichts was zu erreichen wäre ausser dem tod. also, üblicherweise wird versucht ein ziel möglichst schnell zu erreichen, wenn es bekannt.

ich habe gegen meine natur versucht und gegen meinen instinkt (!) den optimistischen standpunkt einzunehmen, ich habe viel versucht, ich habe gegen mein besseres wissen behauptet: das leben ist wert gelebt zu werden um seiner selbst willen, wie dumm, ein vorwand diese unangenehme prozedur nicht vornehmen zu müssen, es gibt keine schuld, keine sünde, nicht gut, nicht böse, keinen gott, keine möglichkeit, nur den schein für den schein leben zu können, wozu der mensch als ethische fehlkonstruktion mit ethischer einstellung behaftet sein kann? ein scherz, es ist grässlich, dass die hoffnung wie ein böses geschwür bis zur letzten sekunde wuchert, die dinge bleiben wie sie sind, idealismus ist unangebracht, unter diesen auspizien vertrete ich (natürlich nur für mich, da ja ich mit dieser meinung behaftet bin) als richtig, der. falsch, für. ich bin einfach nicht einverstanden, würde gerne den menschen gegen das tauschen wofür er sich hält oder fälschlich für möglich hält zu erreichen, so betrachtet will ich gerne den anfang machen, das gute beispiel. — - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969

Hoffnung (9)

"Mörder - Hoffnung der Frauen"

- Oskar Kokoschka

Hoffnung (10)   Antisthenes  sagte: Man muß sich entweder Verstand beschaffen oder den Strick, d. h, das Leben ist so voller Plagen und Hudeleien, daß man entweder, mittelst berichtigter Gedanken, sich darüber hinaussetzen, oder es verlassen muß. Man sah ein, daß die Entbehrung, das Leiden, nicht unmittelbar und nothwendig hervorgieng aus dem Nicht-Haben; sondern erst aus dem Haben-wollen und doch nicht haben; daß also dieses Haben-wollen die nothwendige Bedingung ist, unter der allein das Nicht-haben zur Entbehrung wird, und den Schmerz erzeugt.  [Nicht die Armut bereitet Schmerz, sondern die Begehrlichkeit, Epictet]. Man erkannte zudem aus Erfahrung, daß bloß die Hoffnung, der Anspruch es ist, der den Wunsch gebiert und nährt; daher uns weder die vielen, Allen gemeinsamen und unvermeidlichen Uebel, noch die unerreichbaren Güter beunruhigen und plagen; sondern allein das unbedeutende Mehr und Weniger des dem Menschen Ausweichbaren und Erreichbaren; ja, daß nicht nur das absolut, sondern auch schon das relativ Unerreichbare, oder Unvermeidliche, uns ganz ruhig läßt; daher die Uebel, welche unserer Individualität ein Mal beigegeben sind, oder die Güter, welche ihr nothwendig versagt bleiben müssen, mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und daß, dieser menschlichen Eigenthümlichkeit zufolge, jeder Wunsch bald erstirbt, und also keinen Schmerz mehr erzeugen kann, wenn nur keine Hoffnung ihm Nahrung giebt. Aus diesem allen ergab sich, daß alles Glück nur auf dem Verhältniß beruht zwischen unsern Ansprüchen und dem, was wir erhalten: wie groß oder klein die beiden Größen dieses Verhältnisses sind, ist einerlei.   - (wv)

Hoffnung (10)  Aber dann fiel mir Folgendes ein: »Die Hoffnung ist nur ein Scharlatan, der uns ohne Unterlass betrügt, weshalb für mich das Glück erst dann beginnt, wenn ich sie verloren habe. Gerne würde ich über dem Paradies den Satz anbringen, mit dem Dante die Hölle überschrieben hat: Lasciate ogni speranza, voi ch' entrate.« Dennoch hat Chamfort sich umgebracht. - Chamfort, nach: Frank Witzel, Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Berlin 2016

Hoffnung (11)  Die Liebe und der Glaube, die gingen in Stutthof zum Teufel, aber die Hoffnung, die blieb, mit der ging man zum Teufel. Die Hoffnung, die Hoffnung! Die hatte Nehle fixfertig in der Tasche, und bot sie jedem, der sie haben wollte, und es wollten sie viele haben. Es ist nicht zu glauben, Kommissar, aber Hunderte ließen sich von Nehle ohne Narkose operieren, nachdem sie zitternd und totenbleich ihren Vordermann auf dem Operationstisch hatten krepieren sehen, und immer noch nein sagen konnten, und dies alles auf die bloße Hoffnung hin, die Freiheit zu erlangen, wie ihnen Nehle versprach. Die Freiheit! Wie muß der Mensch sie lieben, daß er alles zu dulden gewillt ist, sie zu bekommen, so sehr, daß er auch damals m Stutthof freiwillig in die flammendste Hölle ging, nur um diesen erbärmlichen Bankert von Freiheit zu umarmen, der ihm da geboten wurde. Die Freiheit ist bald eine Dirne und bald eine Heilige, für jeden etwas anderes.  - Friedrich Dürrenmatt, Der Verdacht. [Mit: Der Richter und sein Henker] Zürich 1978

Hoffnung (12)   Vielleicht hattest du dir von den himmlischen Modulationen jener gläsernen und leise bekümmerten Klänge etwas erhofft? Gewiß hattest du dir etwas erhofft; und nun sag mir: ist das nicht eine unerträgliche Lage? Denn wenn du hoffst, darfst du nicht einfach hoffen, sondern mußt auf die Hoffnung hoffen. Und weil diese zweite Hoffnung etwas gänzlich anderes ist und mit der ersten unvergleichbar, wirst du die erste Hoffnung sehr gut hegen können, während die zweite Hoffnung zugleich nichts anderes ist als eine ebenso schlaue wie nutzlose Form, die Hoffnung selbst zu negieren - d. h. eine Form von Verzweiflung, die ganz aus einer Art von Hoffnung besteht, die zu ferngerückt ist, um noch greifbar zu sein - ein Asteroid, der seinen Lauf in un-erf erschliche r Ferne gewählt hat. Also: die Verzweiflung ist nicht nur mit der Hoffnung nicht unvereinbar, sondern die Anwesenheit der Hoffnung erzeugt auch eine ihr eigene spezifische Verzweiflung - eine Verzweiflung die du nicht kenntest, hättest du dich nicht den meistenteils mittelmäßigen Phantasien der Hoffnung überlassen. Und schließlich hat jene Mischung von Angst und Verzweiflung, in der du dich wiedererkennst, dich dazu angeregt, dasjenige zu interpretieren, was wir der Einfachheit halber Stimmen genannt haben; ich sage das, weil ich jene Stimmen oder was immer es sei nicht auf pädagogische Art definieren möchte, denn eine derartige Definition könnte die Phantasie deiner Angst beschneiden. Wurdest du in jenen Schlaf, der allmählich verfiel, hineingezogen, oder hat er dich nur leicht gestreift? Ich glaube nicht, daß irgendeine Definition diesem Miteinander von Entsetzen und Aufregung gerecht wird, das dich sicherlich gepackt hat; denn wenn die himmlischen Klänge etwas Erhabenes und Metaphysisches hatten, dann mußten diese sogenannten Stimmen dir unweigerlich Hoffnung geben - Hoffnung noch einmal auf eine unterbrochene oder aufgehobene oder beendete oder gestundete Einsamkeit, ja sogar auf den Beginn eines Dialogs. Doch diese Hoffnung, ich möchte wahrhaftig nicht sagen bekämpft, aber packt und umklammert eine ihr eigene spezifische Verzweiflung, die viele und schöne Hirngespinste hegt: sie, die Besagte, sei die unergründliche Illusion eines unmöglichen Zwiegesprächs - aber eine verhängnisvolle; sie sei, die Besagte, die Illusion einer Unterhaltung mit demjenigen der oder demjenigen das nur jene harschen und unzusammenhängenden Töne äußern kann; sie, die besagte Illusion, führe schließlich zu der Illusion, daß dort etwas dir Ähnliches sei, wo nur etwas gänzlich Fremdes und unermeßlich Andersartiges ist.  - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989


Zukunft Wünsche Erwartung

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