öllenpein  »Nach und nach, mit unendlicher Vorsicht und unter Küssen, listete sie mir die Namen aller Beteiligten und die Einzelheiten unseres Plans ab, und nun wußte ich so gewiß, wie ich hier vor Ihnen sitze, daß sie spionierte. Sie war als Spionin des Präsidenten ausgeschickt worden, um mich mit ihren teuflischen Reizen zu umgarnen und unser Geheimnis aus mir herauszuziehen. Unser aller Leben war in ihrer Hand, und ich wußte, daß wir alle in vierundzwanzig Stunden tot sein würden, wenn sie mein Zimmer lebend verließ. Und ich liebte sie, ich liebte sie; oh, es ist nicht mit Worten zu sagen, in welcher Qual des Verlangens mein Herz brannte; eine solche Liebe ist kein Vergnügen, sondern Höllenpein, nein, eine erlesene Pein, die alle Lust in den Schatten stellt, der himmlische Schauer, von dem die Heiligen sprechen, wenn sie von ihren göttlichen Ekstasen ergriffen wurden. Ich wußte, daß meine Geliebte das Zimmer nicht lebend verlassen durfte, und ich fürchtete, den Mut zu verlieren, wenn ich noch lange wartete ...

›Ich möchte jetzt schlafen‹, flüsterte sie.

›Schlaf, meine Taube‹, antwortete ich.

Alma de mi corazon‹, hauchte sie noch. ›Seele meines Herzens‹. Das waren ihre letzten Worte. Ihre schweren Lider, dunkel und ein wenig feucht wie Trauben, senkten sich über die Augen, und nach einer Weile spürte ich an den regelmäßigen Bewegungen ihrer Brust an der meinen, daß sie schlief. Ich liebte sie; Sie müssen verstehen; ich hätte es nicht ertragen, ihr Schmerz zuzufügen; sie war eine Spionin, ja, aber mein Herz befahl mir, ihr das Entsetzen zu ersparen, das sie überfallen hätte, wenn sie gewußt hätte, was nun geschehen mußte. Es ist sonderbar, ich zürnte ihr nicht wegen ihres Verrats; ich hätte sie für ihre Tücke hassen müssen und konnte es nicht; meine Seele war nur von dunkler Trauer umnachtet. Armes Ding, armes Ding - ich hätte vor Mitleid weinen mögen. Ich zog meinen Arm ganz, ganz behutsam  unter ihr weg, stützte mich auf die Hand und richtete mich auf. Sie war so schön, daß ich mein Gesicht abwenden mußte, als ich das Messer mit aller Kraft durch ihre weiße Kehle zog. Sie ging vom Schlaf in den Tod hinüber, ohne zu erwachen.«  - W. Somerset Maugham, Der haarlose Mexikaner. In: W.S.M., Ashenden oder Der britische Geheimagent. Zürich 1976

Höllenpein (2)  Hinter einer Wegbiegung erblickte der voranhumpelnde dicke Kung plötzlich einen Mann, dessen Hals und Füße mit schweren, eisernen Ketten an einen dicken, in den Boden getriebenen Pfahl gefesselt waren und durch dessen Handflächen man lange, viereckige Nägel getrieben hatte. Zwei kleine Teufel schlugen mit Bambusstöcken ohne Unterlaß auf ihn ein. Als er den Gefolterten genauer anblickte, erkannte er den Räuber Dschang Schwarznacht.

»Wie kommst denn du hierher, Dschang?« rief er erstaunt. »Und warum bestraft man dich so schwer?«

Da wandte der also Angesprochene den Kopf zur Seite. Als er den dicken Kung und den langen I erblickte, knirschte er vor Wut mit den Zähnen.

»Hundsnaturen! Schurken! Schufte! Nur euch habe ich das hier zu verdanken«, heulte er los. »Ihr seid an allem schuld!«

»Was? Wir?« riefen die beiden wie aus einem Munde. »Aber Bruder Dschang, was haben denn wir dir getan?«

»Das fragt ihr auch noch, ihr Schurken?« schrie der andere erbost. »Als ich noch in der Lichtwelt lebte, habe ich drei Morde begangen und dreimal Feuer gelegt. Dafür wurde ich vom irdischen Richter mit Enthauptung bestraft, so daß der Fürst der Unterwelt diese Schuld als bereits getilgt ansah. Ihr Hundenaturen habt mich aber gezwungen, den Würdenträger I Yä zu ermorden. Wer hätte gedacht, daß der Himmelskaiser ihn einen treuen Staatsdiener nennen und zum Präfekten der Unterweltsstadt erheben würde! Als er nach seinem Amtsantritt anhand der Listen sah, daß ich mich in seinem Bezirk aufhielt, ließ er mich sofort durch eine Rotte von Teufelsbütteln verhaften. Zuerst stießen sie mir ihre Schwerter und Hellebarden in den Leib, dann kochten sie mich stundenlang in siedendem Öl, und jetzt martern sie mich mit Stockschlägen. Ist das nicht alles eure Schuld, ihr Hundenaturen?«   - Dschu-Lin Yä-schi. Ein historisch-erotischer Roman aus der Ming-Zeit, mit erstaunlichen taoistischen Liebespraktiken. Hg. und Übs. F.K. Engler. Zürich 1971

 

Hölle

 

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