ochwohlgeboren
»Eine Mißgeburt ist mir als Arzt eigentlich
für die Wissenschaft das einzige Wesen von Geburt und Hoch- und Wohlgeboren;
denn ich lerne mehr von ihm als vom wohlgeborensten Manne. Aus demselben Grunde
ist mir ein Fötus in Spiritus lieber als ein langer Mann voll Spiritus; und
Embryonengläser sind meine wahren Vergrößer-Gläser des Menschen. - Ach wohl
in jedem von uns«, fuhr Katzenberger feuriger fort, »sind einige Ansätze
zu einem Monstrum, aber sie werden nicht reif; mit
dem Rückgrat-Ende, dem Steißbein, setzen wir z. B. zu einem Affenschwanz an,
und auf dem neugebornen Kindskopfe erscheint nach Buffon eine hornartige Materie
zu einem Gehörne, die man leider sauber wegbürstet; aber jeder will wahrlich
nur seinesgleichen sehen, ohne nur im geringsten sich um die schon fürs Auge
köstliche Mannigfaltigkeit zu bekümmern, welche z. B. an dieser Badtafel genossen
würde, wenn jeder von uns etwas Verdrehtes an sich hätte, und wenn z. B. der
eine statt der Nase einen Fuchsschwanz trüge, der andere
einen Zopf unter dem Kinn, der dritte Adlerfänge, der vierte ordentliche, nicht
etwa abgenutzte mythologische Eselohren. Ich für meine Person, darf ich wohl
bekennen, ginge mit Jauchzen vor einer mißgebornen Knappschaft und Mannschaft
an der Spitze, als verzerrter Flügelmann und monströses Muster, und würde Gott
danken, wenn ich (nämlich körperlich) nicht wäre wie andere Leute, sondern wenn
auf mir etwa Kamel und Dromedar, also drei Höcker zugleich verkettet wären zur
Gebirgkette, oder wenn die Natur mir hinten eine angeborne Frau aufgesetzt hätte
samt zwölf Fingern vorne, oder wenn ich sonst mit vielen Curiosis für mich und
andere begabt wäre, insofern mir nämlich bei diesem lebendigen Naturalienkabinett
auf mir mein gewöhnlicher medizinischer Verstand gelassen würde, der sich wie
eine Biene auf alle Blumen-Monströsen setzen müßte und könnte. Was hat aber
jetzt mein Geist davon, daß mein Leib wohlgestaltet ist und die gemeinsten Reize
für Volkaugen umherspreitet? - Nichts hat er; er sieht sich nach bessern um.
Aber ich entsinne mich noch recht gut meiner Jugend, wo ich mehr idealisierte
und weniger auf Erden als im Himmel wandelte, da weidete ich mich an geträumten,
noch höhern Mißgeburten, als das teuere schwache Hasenpaar
ist, das ich gestern gekauft; da war es mir ein Leichtes, ganze ineinander hineingewachsene
Sessionen geboren und zu Kauf zu denken, die ich dann nach dem Ableben leicht
in einem Spiritus-Glase bewahrte und bewegte nach Lust — oder einen Knaben mit
einem angebornen vollständigen fleischernen Krönunghabit - oder einen tafelfähigen
Edelmann mit zweiunddreißig Steißen besetzt - und doch sind das nicht ganz arkadische
Träume. Sonst wurden ja wirklich Menschen mit
lebendigen Pluderhosen und Fontangen geboren zum Abschrecken
vor genähten; warum könnte nicht unsern Zeiten der Fang zufallen, daß ihnen
das Glück einen Incroyable mit pulsierenden Hutkrempen und Schnabelstiefeln
und fleischernen Kravatten-Zacken bescherte? frag' ich.« - (
katz
)
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