ochwasser   Vieles treibt vorbei, und Walter Matern sieht es. Von Montau bis Käsemark Hochwasser. Hier, .kurz vor der Mündung, hilft die See. Man sagt, es waren Mäuse im Deich. Immer wenn ein Deich bricht, sagt man, es waren Mäuse im Deich. Katholiken aus dem Polnischen sollen über Nacht Mäuse im Deich angesiedelt haben, sagen die Mennoniten. Andere wollen den Deichgräfe auf seinem Schimmel gesehen haben. Aber die Versicherungsgesellschaft will weder an Wühlmäuse noch an den Deichgräfe von Güttland glauben. Als der Deich, der Mäuse wegen, brach, sprang der Schimmel mit dem Deichgräfe, wie es die Sage vorschreibt, in den hochgehenden Fluß, aber das half nicht viel: denn die Weichsel nahm alle Deichgeschworenen. Und die Weichsel nahm die katholischen Mäuse aus dem Polnischen. Und sie nahm die groben Mennoniten mit Haken und Ösen aber ohne Taschen, nahm die feineren Mennoniten mit Knöpfen, Knopflöchern und teuflischen Taschen, nahm auch Güttlands drei Evangelische und den Lehrer, den Sozi. Nahm Güttlands brüllendes Vieh und Güttlands geschnitzte Wiegen, nahm ganz Güttland: Güttlands Betten und Güttlands Schränke, Güttlands Uhren und Güttlands Kanarienvögel, nahm Güttlands Prediger - der war grob und hatte Haken und Ösen - nahm auch des Predigers Tochter, und die soll schön gewesen sein.

Das alles und noch mehr trieb vorbei. Was treibt ein Fluß wie die Weichsel vor sich her? Was in die Brüche geht: Holz, Glas, Bleistifte, Bündnisse zwischen Brauxel und Brauchsel, Stühle, Knöchlein, auch Sonnenuntergänge. Was längst vergessen war, bringt sich bäuchlings und rücklings als Schwimmer und mit Hilfe der Weichsel in Erinnerung: Adalbert kam. Adalbert kommt zu Fuß. Da trifft ihn die Axt. Aber Swantopolk läßt sich taufen. Was wird aus Mestwils Töchtern? Läuft eine barfuß davon? Wer nimmt sie mit? Der Riese Miligedo mit seiner Bleikeule? Der feuerrote Perkunos? Der bleiche Pikollos, der immer von unten nach oben schaut? Der Knabe Potrimpos lacht und kaut seine Weizenähre. Eichen werden gefällt. Die knirschenden Zähne - und Herzog Kynstutes Töchterlein, die ins Kloster ging: zwölf Ritter ohne Kopf und zwölf Nonnen ohne Kopf, die tanzen in der Mühle: die Mühle geht langsam, die Mühle geht schneller, mahlt Seelchen zu Mehl, doch der Schnee fällt viel heller: die Mühle geht langsam, die Mühle geht schneller, sie aß mit zwölf Rittern vom selbigen Teller: die Mühle geht langsam, die Mühle geht schneller, es geigen zwölf Ritter zwölf Nonnen im Keller, die Mühle geht langsam, die Mühle geht schneller, so feiern sie Lichtmeß mit Furz und Geträller. - Günter Grass, Hundejahre. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1963)

Hochwasser  (2)  Es ist nach besonders starkem Hochwasser nicht ungewöhnlich, daß ein amerikanischer oder englischer Frachter zum Gefangenen des Waldes wird und in den Baumkronen festsitzt. Von weitem schon leuchtet sein roter Rumpf im dunkelgrünen Laubwerk. Wer das Schiff sieht, das sich wie ein Ballon in den Ästen verfangen hat, fragt sich, wie es ein Dampfer fertigbringt, sich in den Baumwipfeln festzufahren, um so mehr, als das Flußbett häufig einige Kilometer entfernt ist.

Doch das Hochwasser des Amazonas kommt plötzlich und unvorhersehbar und führt eine ungeheure Wassermenge mit sich, die den Wald auf riesige Strecken überflutet. Man kann sehr wohl, ohne es zu wissen, über einen überschwemmten Wald hinwegfahren und in den Bäumen hängenbleiben, wenn zum Beispiel die Flut über Nacht zurückgeht.

Dann verläßt die Besatzung den Dampfer, um im Boot quer durch den überfluteten Wald wieder zum Hauptbett des Flusses zu gelangen.

Manchmal bleibt freilich eine Wache an Bord und wartet auf das nächste Hochwasser, das möglicherweise den Rumpf oben in den Wipfeln erreicht und wieder flottmacht. Dieser Mann wartet oft in tiefster Einsamkeit zwei, drei Jahre lang.

Es ließe sich denken, daß so ein ungeschlachter Seebär dabei verrückt würde, aber das kommt nicht vor, denn nichts ähnelt so sehr dem Ozean wie der Anblick, der sich ihm bietet, wenn er pfeiferauchend auf der Brücke spazierengeht: Das Schiff schwebt über den Blättern, den Ästen, den Wipfeln des riesigen Tropenwaldes, dessen schimmernde dunkelgrüne Flächen bis ins Unendliche hin wogen und den Horizont verschwimmen lassen.

Er hat sich an dieses Panorama gewöhnt und sich leicht an seine neue Lebensweise angepaßt. Wenn er endlich abgeholt und aus seiner Lage befreit wird, ist es häufig höllisch schwierig, ihn von seiner »Sitzstange« herunterzulocken, so sehr hat dieser moderne Robinson Geschmack an dem Vogelleben gefunden, das er an Bord seines in der Luft gestrandeten Schiffes zwischen Himmel, Clorophyll und Wasser führte.   - Blaise Cendrars, Wahre Geschichten. Zürich 1979

Hochwasser  (3)  Ich erinnerte mich an die Elbe, wenn die sommerlichen Überschwemmungen kamen, wo wir Buben in Badehosen gewartet hatten und dann bei der Steinbrücke ins Wasser gesprungen waren und uns in dem trüben Strom hatten treiben lassen, die Geschwindigkeit war ungeheuer, auf dem Uferdamm Jungs mit Fahrrädern, sie konnten uns nicht einholen, so geschwind trug uns das Hochwasser von dannen, wir ruderten nur leicht mit den Armen und ließen uns von der Strömung tragen, denn wir wußten genau, daß hinter der Eisenbrücke, daß da der Fluß eine Biegung machte, wo uns das Wasser ganz nahe ans Ufer bringen würde ... Und hier in Pikovice - kaum hatte ich Vladimirek davon erzählt, sozusagen nur als Erinnerung an meine goldenen Zeiten, da lächelte er und rief: Doktor! Ich zuckte die Schultern und sagte: Wenn Sie meinen... Im Nu hatten wir uns ausgezogen, und ich stürzte mich als erster in den Fluß, rücklings wie damals, Vladimir mir nach, und da war es wieder, da war wieder dieses Jagen des reißenden, angeschwollenen Flusses, wieder dieser Geruch, wieder diese schöne Gefahr, Vladimir lächelte mir zu, er strahlte, er schrie vor Freude, und ich kostete mit dem ganzen Leib den Anprall des Wassers und vor allem den herrlichen Sog des reißenden, schnellen Stroms aus, diesen Wirbel, der den Körper mitriß und wieder aus der Drehung entließ, und dann erschrak ich ein wenig, ich sah zu Vladimírek hinüber, der aber strahlte und lachte, während wir in die sanfte Sturzwoge des reißenden Flusses hineinschossen, der gerade das aufragende, unter den Wassermassen verborgene Wehr passierte... Der Kamm dieser Wasserwoge trug uns beide unentwegt vorwärts, bis unsere Körper kopfunter die schiefe Ebene hinabflogen, nach unten, wo das Wasser sich leicht kräuselte, beide mußten wir die schäumenden, aufgeplusterten Wellen durchfliegen, sich diesem Wasser zu widersetzen, hieß vom Sog in die Tiefe gerissen zu werden, sich gegen dieses Wassergekräusel der Sázava zu stemmen, hieß sich das Kreuz zu brechen... doch ich war der erste, mir nach folgte Vladimir, und wieder spürte ich, wie damals als Knabe und junger Mann im Hochwasser der Elbe, daß es genügte, sich dem Strom und der Gesetzmäßigkeit seines Sogs zu überlassen und zu warten und den Augenblick abzupassen, da die Strömung einen von allein hinter irgendeiner Biegung ans Ufer trug.  - Bohumil Hrabal,  Ein Dandy im Schlosseranzug. In: B. H., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993

Hochwasser  (4)

HOCHWASSER

Wir warten den Regen ab,
obgleich wir uns daran gewöhnt haben
hinter der Gardine zu stehen, unsichtbar zu sein.
Löffel ist Sieb geworden, niemand wagt mehr
die Hand auszustrecken.
Es schwimmt jetzt Vieles in den Straßen
das man während der trockenen Zeit sorgfältig verbarg.
Wie peinlich des Nachbarn verbrauchte Betten zu sehen.
Oft stehen wir vor dem Pegel
und vergleichen unsere Besorgnis wie Uhren.
Manches läßt sich regulieren.
Doch wenn die Behälter überlaufen, das ererbte Maß voll ist,
werden wir beten müssen.
Der Keller steht unter Wasser, wir haben die Kisten hochgetn
und prüfen den Inhalt mit der Liste.
Noch ist nichts verloren gegangen. —
Weil das Wasser jetzt sicher bald fällt
haben wir begonnen Sonnenschirmchen zu nähen.
Es wird sehr schwer sein wieder über den Platz zu gehen,
deutlich, mit bleischwerem Schatten.
Wir werden den Vorhang am Anfang vermissen
und oft in den Keller steigen
um den Strich zu betrachten,
den das Wasser uns hinterließ.

- Günter Grass, Die Vorzüge der Windhühner. Göttingen 1993 (zuert 1956)

 

Wasser

 

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Verwandte Begriffe
Flut

Synonyme
Überschwemmung