ochstapler
Das Buch enthält in seinem zweiten Teil ein Handbrevier für Hochstapler.
Da in diesem Brevier nicht davon gesprochen wird, worin man »hochstapeln« könnte,
so ist das Brevier ein Knigge für Fortgeschrittene. Das soll heißen, durchaus
nicht schlecht, gute Gesellschaftskunst. Mag man diese Kunst für überflüssig
halten und auf Gesellschaft ganz verzichten,
so hat man auch das Recht, auf das Brevier zu verzichten. - Das Seltsame ist
eben, daß jeder, der in Gesellschaft lebt, ein Hochstapler ist und versuchen
muß, es zu sein, — und für ihn ist das Brevier gut und klar, heutiger als Gracian's
Handorakel.
Der erste Teil des Buches ist eine Kritik der Zeit; skeptisch,
intelligent, kein Versuch, zu irgendeinem neuen Schwindel
vorzustoßen, sondern bei dem bescheidensten Schwindel »Lust«
stehenzubleiben. Das Ganze: Apéritif.
[AURIGA (Friedrichssegen/Lahn),
3. Jg. H. 4, Juli 1928, S. 125. Ernst Fuhrmann, Rezension
zu: Walter Serner, Letzte Lockerung. Berlin 1927 ]
- Aus: Walter Serner, Der
Abreiser.
Materialien zu Leben und Werk. Gesammelte Werke Bd. X, Hg. Thomas Milch. München
1988
Hochstapler (2) Die von grotesken Verblödungserscheinungen durchsetzten Konversationen, mit denen sämtliche Mahlzeiten arrosiert wurden, begannen Pasztor allgemach derart zu amüsieren, daß er sich entschloß, sein bisheriges Schweigen zu brechen und das um vieles größere Vergnügen sich zu machen. Sprengversuche an diesen soliden Existenzen vorzunehmen. Dazu benützte er, allerdings auch in der Hoffnung, einige Dupes sich zu holen, eine Äußerung, welche eine junge hübsche Kölnerin über einen jüngst von ihr bewunderten Abenteuer-Film machte. Pasztor versicherte, auch ihm habe dieser Film sehr gefallen, und fügte, konsekutiv reflektierend, hinzu, der Hochstapler sei vollauf mit Recht der Held von heute, der Heros aller zugkräftigen Romane, Theaterstücke und Filme: er verkörpere die Sehnsucht der nach wie vor verbürgerlichten Menschheit nach einem lockeren luftigen Leben, frei von geographischen und anderen Grenzen; weshalb es aber umso unfaßlicher sei, daß gerade diese Menschheit, die den Hochstapler in der Projektion vergöttert, ihn mit der schändlichsten Nichtachtung behandelt, wenn sie ihm im Leben begegnet, ja mit Verachtung und Hohn; welches Verhalten weder von der Furcht vor einer Vermögenseinbuße gerechtfertigt werden könne noch von dem Neid, der hier vollendet sieht, was er selber vielleicht vergeblich erstrebt hatte.
Nach dieser wohl hingelegten Suada überließ sich Pasztor, zart schmunzelnd, seinem Braten und die überaus peinlich berührten ümsitzenden einem gehässigen Schweigen.
Nur die junge Kölnerin hielt es nicht. Der quälende Wunsch, zu dokumentieren, daß sie derselben Meinung sei, zitterte nicht weniger aus ihren Augen als ein gewisser Wissensdurst. Ihre Stimme wurde voll und schwer: »Wenn es aber weder Furcht ist noch Neid ... ich meine . . . schändlich ist es ja auf jeden Fall, aber . . . aber es ist vielleicht die Angst vor der Polizei.«
Pasztor freute sich über diese unerwartet herausfordernde Bemerkung so sehr,
daß er sogar ein wenig zu genau replizierte: »Sollte die Angst davor, mitgefangen
zu werden, jene von mir gerügte Einstellung verschulden, so würde das denn doch
ein ungewöhnlich großes Maß von Feigheit bedeuten.
Denn dafür, daß man mit einem notorischen Hochstapler sich unterhält, ohne das
Bedürfnis zu haben, ihn anzuzeigen, wird man noch nicht eingesperrt, ja wenn
man in einer bürgerlich einwandfreien Situation sich befindet, schwerlich auch
nur molestiert. Zudem werden Sie, wenn Sie bedenken, daß der Hochstapler ohne
die Polizei gar nicht möglich wäre, leicht einsehen, daß ein mäßiges Wohlwollen
für diese Institution unerläßlich ist.« - Walter Serner,
Die dilettierende Pension. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten.
München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)
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