Hochsicherheits-Blues   Ein Stück von dem Song, den Bones spätnachts immer in seiner Zelle sang, kam mir in den Sinn:

Ich wünsch, ich hält 'nen Dollar,
Ich wünsch, ich wär gescheit.
Ich wünsch, ich hätt 'ne Frau hier,
Doch ich hab nichts als Zeit.

»Hochsicherheits-Blues« nannte er ihn. Bones war nicht an den Großstadtknast gewöhnt. Er hatte die meiste Zeit drunten in Mississippi gesessen, auf der Parchman Farm, einem fünfzehntausend-Hektar-Gefängnis ohne Mauern. Sie brauchten keine Mauern - ein Mann kann nicht schneller laufen als eine Kugel. Bones sagte, er kriegte seinen Namen Jahre zuvor, als er die Würfelszene abgraste, aber wir nannten ihn so, weil das alles war, was es von ihm gab - er war zirka hundert Jahre alt und dünn und spitz wie ein Eisstichel. Bones machte seine Sachen auf die alte Art - mit seiner schweren Südstaatenstimme war er so ehrfürchtig zu den Wächtern, daß sie nicht zuhörten, was er wirklich sagte. Auch einer der jungen Schwarzen aus der Stadt hörte nicht gut zu. Bones saß auf einer Kiste in einem der neutralen Reviere auf dem großen Hof, spielte seine zerschrammte Sechsseitige und sang seine Songs. Der junge Spund kam mit seinen Jungs hin, alle in ihren Heim-nach-Afrika-Farben gekleidet, »politische Häftlinge« einer wie der andere. Ich wußte nicht, daß es eine revolutionäre Tat war, alte Frauen wegen ihrer Sozialhilfe zu überfallen, aber was, zum Teufel, weiß ich schon? Der einzige Marx, der je für mich Sinn machte, war Groucho. Der Anführer bestand drauf, daß ihn jeder beim Stammesnamen nannte, und die neumodischen Wächter spielten dabei mit.  Er kreuzt auf und sagt Bones, daß er ein scheiß Klischee ist - ein asozialer arschkriechender Onkel-Tom-Nigger, und so weiter. Und Bones zupft grad seine Gitarre und schaut durch die Ratte durch woanders hin.

Die einzigen Geräusche auf dem Hof waren das Grunzen der Eisenstemmer und das Klacken der Dominosteine auf Holz - und Bones' klagende Gitarre. Dann hörten wir einen lauten Schlag; die Gitarre schwieg, aber der übrige Knast begann zu summen. Der kalte, graue Todeshai schwamm durch den Gefangnishof, aber die Wächter auf den Laufgängen wußten es noch nicht. Überall auf dem Hof kamen die Männer auf die Beine und schlenderten dahin, wo die Ratte über Bones stand und die Gitarre des alten Mannes in den Händen hielt.

»Das Ding is nichts weiter als ein Instrument, mit dem man Sklavenmusik spielt, Alter«, feixte ihn die Ratte an und hielt den Hals in der einen Hand und den Korpus in der anderen. »Vielleicht brech ich sie einfach übers Knie - wie findste das?«

»Tu das nicht, Sohnemann«, ersuchte ihn Bones.

Die Ratte blickte sich nach ihren Freunden um Zustimmung um, war nun ganz allein auf ihrem Machttrip und nahm die sich um sie schließende Menschenmauer überhaupt nicht wahr. Ich blickte hinter Bones, wo Virgil, mein Zellengenosse, näherrückte. Virgil war nicht dafür geschaffen, es mit Schwarzen aufzunehmen, aber er würde mir, wie abgemacht, den Rücken freihalten, wenn es losging. Ich haßte Bagoomi - oder wie immer sich der scheiß Blödmann genannt hat - sowieso. Sein revolutionärer Auftrag hielt ihn nicht davon ab, frische junge Kids zu vergewaltigen, wenn sie erstmals in den Zellentrakt kamen.

Aber ich kam zu spät. Die alte Gitarre knickte über dem Knie so leicht wie ein Zahnstocher, und er hielt in jeder Hand ein Stück, sein goldzähniger Mund grinste runter auf Bones. Die Hand des alten Mannes zuckte, und das Lächeln des Blödmanns erstarb mit dem Rest von ihm. Als sich die Wächter endlich durch das dichte Knäuel Gefangener geschlagen hatten, entdeckten sie lediglich, daß ein Frettchen mehr den einzig wahren Pfad in die Ewigen Jagdgründe gefunden hatte; zwischen den Rippen steckte ihm eine scharfgeschliffene Feile.  - Andrew Vachss, Strega. Frankfurt am Main und Berlin 1994

 

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