Hochschieben   Das Mädchen war an sich eher groß als klein und glich einer hochstieligen Rose. Sie sah so aus, als sei sie in dem Moment, da ihr Schöpfer sie zur Betrachtung emporhielt, durch seine mächtige Hand geglitten und dabei in allen ihren jungen Formen sanft nach oben geschoben worden. Die schlanken Waden ihrer schönen Beine — in weißen Strümpfen und hübschen Schuhchen — waren hoch angesetzt, ebenso die noch unentwickelte Fülle der Hüften, wogegen Knie und Schenkel, die sich bei ihrem raschen Schritt durch die Volants ihres Kleides abzeichneten, schmal und gerade waren. Ihr junger Busen prangte fast in gleicher Höhe mit den Achselhöhlen, hoch über der schlanken Taille. Ihr milchweißer Hals war lang und rund, seltsam würdevoll und statuenhaft an  einem solch jungen Wesen. Ihr Haar schien sich gegen das Gesetz der Schwerkraft zu sträuben. Hinter dem Band hervor, das es aus der Stirn hielt, strömte es fast waagrecht aus.

Dieses reiche Haar war von einer seltenen Farbe, einem blassen Korallenrot, ganz ohne Gelb, wie man es in Meermuschein findet. Das helle, glatte, rosige Gesicht des Mädchens wies keine einzige Lüge auf, kein Gran Puder oder Schminke, und kein einziges Fältchen. Die Augen, umrandet vom dünnen schwarzen Strich der Wimpern, waren ohne eine Falte oder Linie in das Gesicht eingesetzt, wie zwei Stücke dunkelblaues Glas. Ihre Backenknochen saßen ein wenig hoch, auch die Nase hatte einen kleinen Schwung nach oben. Doch der bei weitem eindrucksvollste Zug in diesem Gesicht war der Mund: ein üppiger, trotziger, flammender Mund, wie eine rote Rose. Sah man ihn an, so konnte man meinen, die ganze ranke, stolze Gestalt sei nur dazu erschaffen, um diesen frischen, anmaßenden Mund durch die Welt zu tragen.  - Tania Blixen, Wintergeschichten, Reinbek bei Hamburg 1989

Hochschieben (2)
 

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