Dochbett    Das Bett schwang in einer leicht kreisenden Bewegung, das Gestell ächzte und knarrte, doch die dünnen Pfosten schienen weit elastischer, als gewöhnliches Lindenholz überhaupt sein kann.

Plötzlich brach über ihr der Regenbalg auf, und ein gewaltiger Guß überschwemmte ihr Bett, sickerte durch Laken und Matratze und rann ihr über die blanken Augen, die die vom Entsetzen gelähmten Lider nicht mehr beschützten. Kurz darauf dehnte sich die wulstige Wolke und ein gelber Sonnenstrahl stach hervor. Er blendete sie, so daß sie für eine Weile nur schwarze Fasern tanzen sah. Bald schien sich der Strahl jedoch zu mildern und räumlich zu erweitern, denn jetzt sah sie eine Art Kanal oder Schacht sich auftun, und dann konnte sie auf einmal eine lange Reihe von glitzernden Stegen erkennen, die schräg in die weitere Höhe führten. Wie denn? Noch höher hinauf? Sollte dies ihre einzige Rettung sein, nämlich in diesem Sonnenschacht höher und immer höher hinaufzusteigen? In eine völlig Ungewisse Höhe, und dann ohne jede Verbindung zum Erdboden, die doch immerhin mit den langen Bettbeinen unterhalten wurde, und später vielleicht, mit schwindendem Licht, plötzlich selbst erloschen und fortgenommen sein? Nein, keinesfalls wollte sie in diese ganz andere Gefahr hinübertreten, obgleich sie die unterste Sprosse bequem hätte erreichen und umklammern können. Jedoch, verglichen mit dem Aufstieg ins Unbekannte, wenn nicht gar Endlose, schien ihr selbst das entsprungene, schwankende Bett mehr Sicherheit zu versprechen, zumal es für sie trotz allem noch immer mit Wärme und Geborgenheit zu tun hatte. Mit äußerster Behutsamkeit drehte sie sich vom Rücken auf die rechte Seite und drückte ihre Wange in das nasse Kopfkissen. In einiger Entfernung zog ein Bussard seine stille Runde und schwebte, ohne um sein Heil bangen zu müssen, in derselben freien Höhe, in der auch sie sich befand, die Emporgeschossene, die dem sicheren Fall Vor-behaltene. Plötzlich stand der Vogel, spähend über die Feldflur, rüttelte heftig und schoß pfeilschnell in die Tiefe. Nie hatte die Händlerin einem Vogelflug sehnsüchtiger zugesehen. Wann endlich werde ich fallen? dachte sie, wann geschieht das Unvermeidliche, wann bricht das Gestell? Ein Mensch, bloß, ohne Hilfsmittel, von der Natur nicht für die Lüfte gerüstet, ausgesetzt in seiner tödlichen Wiege, er kann ja nur fallen, nichts als fallen und sich zu Tode stürzen. In diesem Augenblick vernahm sie ein mächtiges Flügelsausen, und als sie leicht den Kopf anhob, da erblickte sie den Bussard wieder, der nun am Fußende ihres Bettes hockte und eine dicke Kröte in seinem Fang trug.

Vor Schreck und Ekel riß die Frau die Beine und die Decke an sich. Der Vogel ließ seine Beute auf das Laken fallen, und die Unke versuchte noch einmal davonzuspringen. Da schlug sie der Greif mit seinem braunen Hakenschnabel, mit seinem im Stil der reinen männlichen Bosheit geformten Waffengesicht. Dann richtete er sich auf, wölbte seine Brust und blickte mit zornflammendem Auge anderswo aus, als hätte er jedes Interesse an seiner Beute verloren. Erst als die Kröte einen letzten plumpen Sprung tat, stieß er wieder zu, packte sie und schlug ihren glitschigen Leib. Er riß die Eingeweide, zerstörte Kopf und Kehle, rupfte und warf, damit noch der leblose Kadaver ihn durch Bewegung reizte, und kröpfte alles in wütiger, gezackter Eile. Es blieb nur ein schleimiger dunkler Fleck auf dem Bettzeug zurück, darin aber schimmerte ein helles Ding. Die Händlerin, die sich von dem grausamen Schauspiel nicht hatte abwenden können, starrte auf den blutverschmierten Opal, der da aus dem Inneren der Kröte übriggeblieben war und auf dem der Bussard nun übellaunig herumhackte. Dabei flössen ihm unzählige kleine Feldspinnen aus dem Gefieder, huschten über das Bett und auch über die Hände und das Gesicht der Frau.  - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984

Bett

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