interlassenschaft
Nach nicht ganz vier Monaten wurde Caligula ermordet, nachdem
er schreckliche Taten verübt und während er noch furchtbarere plante. Hatte
er doch die Absicht gehabt, den Sitz der Regierung nach Antium und später nach
Alexandria zu verlegen, vorher aber erst alle bedeutenden Männer aus dem Ritter-
und Senatorenstande umbringen zu lassen. Dies Vorhaben steht dadurch über allem
Zweifel, daß sich unter seinen Geheimpapieren zwei Hefte mit verschiedener Aufschrift
vorfanden. Das eine war „Schwert", das andere
„Dolch" betitelt. Beide enthielten die Namen und
Charakteristiken der zum Tode bestimmten Personen. Es fand sich auch ein großer
Kasten voll verschiedener Gifte. Als Claudius sie später
ins Meer versenken ließ, soll dies derart verseucht worden sein, daß die Folge
davon ein großes Sterben unter den Fischen war, welche die Flut tot an die nächste
Küste spülte. - (sue)
Hinterlassenschaft (2) Ende Juni bekam Mutter Truczinski einen leichten Schlaganfall, weil die Post ihr schlechte Nachricht gebracht hatte. Der Unteroffizier Fritz Truczinski war für drei Dinge gleichzeitig gefallen: für Führer, Volk und Vaterland. Das geschah im Mittelabschnitt, und Fritzens Brieftasche mit den Fotos hübscher, zumeist lachender Mädchen aus Heidelberg, Brest, Paris, Bad Kreuznach und Saloniki, sowie die Eisernen Kreuze erster und zweiter Klasse, ich weiß nicht mehr, welches Verwundetenabzeichen, die bronzene Nahkampfspange und die zwei abgetrennten Panzerknackerläppchen, auch einige Briefe schickte ein Hauptmann, namens Kanauer, vom Mittelabschnitt direkt nach Langfuhr in den Labesweg.
Matzerath half, so gut er konnte, und Mutter Truczinski ging es bald besser,
wenn auch nie mehr gut. Sie saß fest im Stuhl am Fenster, wollte von mir und
Matzerath, der zwei- bis dreimal am Tag herauf kam und etwas mitbrachte, wissen,
wo das nun eigentlich liege: »Mittelabschnitt?« Ob das weit sei und ob man da
mit der Bahn über Sonntag hinfahren könne. - Günter Grass, Die Blechtrommel. Frankfurt
am Main 1965 (Fischer-Tb. 47314, zuerst 1959)
Hinterlassenschaft (3) Ursprünglich hatte die Farm ihrem Vater gehört. Als er starb, vermachte er sie ihnen auf eigenartige Weise. Er fürchtete, daß die Familie sich spalten würde oder in Streit geriete, und infolgedessen hatte er Una jeden zweiten Fuß Boden hinterlassen, beginnend mit dem ersten Fuß am Zaun, und den jeweils dazwischenliegenden, beginnend mit dem zweiten Fuß, vermachte er Lena. Und so pflügten und ackerten und pflanzten die beiden Mädchen und fuhren alljährlich eine reiche Ernte ein, und keine stritt wegen des Erbes. Schweigend arbeiteten sie Seite an Seite und beklagten sich nicht, ebensowenig, wie die Obstgärten sich beklagen, wenn ihre Zweige blühen und Frucht tragen und sich zu biegen beginnen. Ebensowenig wie die Erde sich beklagt, wenn sie vom Pflug verwundet wird und zuheilt, um Blumen und Gemüsen zum Leben zu verhelfen.
Nach langen Monaten des Sparens hatten sie ein Haus gebaut, worin sie ihre
Möbel und einen Onkel, Karl, unterbrachten, der während
der Heuernte wahnsinnig geworden war. - Djuna Barnes, Die
Erde. In: D.B., Die Nacht in den
Wäldern. Short Stories. Berlin 1982 (Quartheft 133)
Hinterlassenschaft (4) Grave Digger breitete die blutverkrustete Jacke und den Overall auf dem Tisch aus.
Readys Gesicht verfärbte sich beim Anblick der schwarzen Klumpen von geronnenem Blut.
Der Inhalt der Taschen war in einen Cellophanbeutel gesteckt worden.
Grave Digger leerte ihn auf dem Tisch aus. Er bestand aus zwei unglaublich
schmierigen Ein-Dollar-Noten, etwas Kleingeld, einer kleinen braunen Papiertüte
mit getrockneten Wurzeln, zwei Schlüsseln und einem Dietrich an einem rostigen
Schlüsselring, einem Kaninchenfuß, einem Stück schmutzigen Kolophoniums,
einem Lappen, der als Taschentuch gedient hatte, einem Kittmesser, einem
kleinen Stück Bimsstein und einem Fetzen schmutziges Schreibpapier, der
zu einem kleinen Quadrat gefaltet war. Das Kittmesser und der Bimsstein
bewiesen, daß der Mann irgendwo als Hausdiener gearbeitet hatte. Das Kittmesser
hatte er gebraucht, um Kaugummi vom Boden zu kratzen, und den Bimsstein,
um anschließend seine Hände zu säubern. - Chester Himes, Heiße Nacht für kühle Killer. Reinbek bei Hamburg
1969 (zuerst 1859)
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