interhof   Hier stürzen, krachen und prallen alle Schreie und Rufe aus zwanzig Häusern im Umkreis zusammen. Sogar die verzweifelten Vögelchen der Hausmeister, die nach dem Frühling piepen, den sie nie mehr wiedersehen werden, fallen in den Chor ein. Sie hocken in ihren verschimmelten Käfigen neben den Aborten, die da alle im Schatten des Hinterhofes zusammenliegen; die wackeligen und immer ausgehängten Türen kreischen. Hunderte männlicher und weiblicher Trunkenbolde leben in diesen Mauern, und besonders am Samstagnachmittag hallen ihre prahlerischen Streitigkeiten, ihre unbestimmten und bilderreichen Flüche von den Wänden wider. Es ist der Höhepunkt des Familienlebens. Man hat die Nase zu lang im Glas gehabt, und jetzt sucht man miteinander Streit; das muß man gesehen haben, wie Papa den Sessel als Streitaxt schwingt und Mama das Holzscheit wie ein Schwert. Wehe den Schwachen! Die Kleinen kriegen es meistens ab. Alles, was sich nicht wehren und zurückhauen kann, wird mit Ohrfeigen an die Wand geklebt: die Kinder, Katzen und Hunde. Nach dem dritten Glas Rotwein, dem ganz dunklen — das ist der schlimmste und gefährlichste —, muß der Hund daran glauben. Man tritt ihm kräftig auf die Pfote und zerquetscht sie ihm. Den wird man lehren, auch Fressen zu verlangen, wie die Menschen. Wenn er heult wie am Spieß und unter das Bett verschwindet, muß man schrecklich lachen. Das ist das Angriffssignal. Nichts regt angeheiterte Frauen so an, wie gequälte Tiere, und man hat nicht immer Stiere bei der Hand. Der Streit geht wieder von vorn an, noch rachsüchtiger, eindringlicher und rasender als vorher; die Frau führt an, mit spitzen Reden fordert sie das Männchen heraus. Und dann geht alles drunter und drüber, die zerbrochenen Gegenstände häufen sich. Der Lärm hallt im Hof wider, der Widerhall mischt sich mit der Finsternis. Die Kinder kreischen vor Entsetzen. Sie lernen Papa und Mama erst richtig kennen!   - (reise)

Hinterhof (2)  

- Georges Pichard

Hinterhof (3)  Unser Haus liegt in einem Villenviertel, in England würde man von einer Doppelhaushälfte mit kleinem Garten reden. Wie man es hier bezeichnet, weiß ich nicht, wahrscheinlich mit einem spanischen Ausdruck für ›geräumige Villa mit Park‹. Das stimmt jedoch nicht, das Haus ist nicht geräumig, es ist eng und nichts ähnelt auch nur entfernt einem Park. Es gibt jedoch einen netten Hinterhof, den ich mit meinen beiden Katzen, einer Henne, der Magd und ihren beiden Kindern, einigen Fliegen und einer Agave teile.

Es ist sehr angenehm, daß mein Zimmer auf den hübschen Hof hinausführt, wobei keine Stufen zu bewältigen sind - ich brauche nur die Tür zu öffnen, um mich bei Nacht an den Sternen oder an der frühen Morgensonne zu erfreuen. Das ist freilich die einzige Offenbarung des Sonnenlichtes, die ich ertragen kann. Das Dienstmädchen Rosina ist eine Indianerin. Sie hat einen mürrischen Charakter und scheint im allgemeinen alle anderen Menschen abzulehnen. Mich zählt sie wohl nicht zur Kategorie Mensch, daher ist unser Verhältnis nicht unerfreulich. Die Agave, die Fliegen und ich sind Dinge, die zum Hinterhof gehören, wir sind Bestandteile der Landschaft und als solche hingenommen. Die Katzen stehen auf einem anderen Blatt. Ihre Individualität bringt Rosina zu Anfällen von Entzücken oder Wut, je nach ihrer augenblicklichen Stimmung. Mit den Katzen spricht sie, mit ihren Kindern nie.  - (hoer)

Hinterhof (4)   Es ist ein rechteckiger Hof wie viele andere, auf den man einen Blick durch die niederen Durchgangsstraßen werfen kann, welche die alten Verkehrsadern von Paris flankieren. In der Mitte des Hofes gibt es eine Zusammenballung altersschwacher Gebäude, die so verfallen sind, daß sie übereinander zusammengesunken sind und eine Art von Darmverschlingung bilden. Der Boden ist uneben, das Pflaster schlüpfrig von Schleim. Eine Art menschlicher Misthaufen, aus Asche und trockenem Abfall aufgeführt. Die Sonne geht sehr rasch unter. Die Farben erlöschen. Sie wechseln von Purpur zum Rot getrockneten Blutes, von Perlmutt zu nußbraun, von kühlem, totem Grau zur Farbe von Taubenmist. Da und dort steht ein krummes Ungeheuer am Fenster und blinzelt wie eine Eule. Man hört das schrille Gequieke von Kindern mit bleichen Gesichtern und knochigen Gliedern, kleinen Bälgern, denen man die Zangengeburt ansieht. Ein übler Geruch sickert aus dem Gemäuer, der Geruch einer modrigen Matratze.   - (krebs)

Hinterhof (5)  

- Alexander Surikov

Hinterhof (6)  Die Nummer 12 ist ein ganzer Block mit Rückgebäuden, noch aus der Zeit vor der Inflation, fünf oder sechs Stockwerke plus Mansarden, fünf oder sechs Hinterhöfe, die konzentrisch ineinander liegen - die verschachtelte Geschenkverpackung eines Scherzboldes, die nichts enthält als einen letzten leeren Innenhof, der nach den gleichen Küchendünsten, Abfalltonnen und jahrzehntealten Pissesäumen an den Mauern riecht wie alle anderen. Ha, ha!

Slothrop marschiert auf den äußersten Torbogen zu. Das Licht der Straße wirft seinen capebedeckten Schatten nach vorn in eine Folge solcher Bögen hinein, die mit verblichener Farbe Erster Hof, Zweiter Hof, Dritter Hof usw. überschrieben und wie das Tunnelportal der Mittelwerke geformt sind, parabolisch, aber hier mehr an ein aufgerissenes Maul und den dahinter lauernden Schlund erinnernd, Knorpelgelenke, die hintereinander warten auf den Reflex des Schluckens ... über dem Mund starren zwei viereckige Augen, organdyweiß mit tiefschwarzer Iris, auf ihn herab ... der Mund lacht, wie er es seit Jahren ohne Pause tut, ein blubberndes und anstößiges Lachen, wie schweres Porzellan, das im Abwaschwasser einer Spüle herumrollt und gegeneinanderstößt. Kopfloses Glucksen, kann's halt nur geometrisch, kein Grund, dich zu fürchten, immer nur rein hier ... Doch der Schmerz, die zwanzig, fünfundzwanzig Jahre Schmerz, die paralysiert in der Tiefe dieser Gurgel stecken ... ein alter Geächteter, der passiv, süchtig nur noch nach Überleben, die Jahre auswartet, auf dünnhäutige Trottel wie diesen Slothrop wartet, um sich vor ihnen aufzuspielen, lachend und weinend zugleich und beides in völligem Schweigen... die Farbe blättert ab von diesem Gesicht, das brandig ist und krank, seit langem stirbt, und wie kann Slothrop mir nichts, dir nichts hineinmarschieren in einen derart schizoiden Schlund? - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

Hinterhof (7)  Lassen wir nun noch die Morgendämmerung über der Stadt heraufziehen wie eine blaue Flamme,.. Die Hinterhöfe sind von Schwuchteln gesäubert, und die Mülltonnen geben ihre verhüllten Toten preis...

»Lady, können Sie mir bitte den Weg nach Tipperary zeigen?« Über die Berge und noch ein ganzes Stück weiter, bis zum Blue Grass... Über das Knochenmehl des Rasens zum zugefrorenen Teich, wo Goldfische starr und steif auf den Squaw Man des Frühlings warten.

Brüllend rollt der Totenschädel die Hintertreppe hinauf und kappt den Schwanz des sündigen Ehemanns, der sich die Ohrenschmerzen seiner Frau zunutze macht, um etwas zu tun, was ihr ungelegen kommt. Der junge Kerl stülpt sich einen Südwester auf, grad wie mans von einer Landratte erwartet, und schlägt seine Frau unter der Dusche tot...  - (lun)

 

Mietskaserne

 

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