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fibel
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Hinterbliebene (2) Unsere kleine Gruppe, Freunde und ein paar Begräbnisfans, wir spürten kaum noch unsere Zehen so kalt war es und wie das zog großer Gott als sich plötzlich die Türen endgültig öffneten, der Sarg wird hereingetragen gefolgt von der Familie, ein Anblick der seltsam an den andern erinnert.. . den andern ... ich meine den vorhergehenden, Jahre zurück, ins Bewußtsein eingepflanzt, ausgebreitet wie Mist zwischen unsern Primeln und den ändern Frühlingsblumen, so daß er in unsern Augen sehr lebendig war, entschuldigen Sie den Witz, und nichts Unzeitiges hatte ganz im Gegenteil, ich meine den Tod, und man ihn am Ärmel gezogen hätte um sich bei ihm in freundliche Erinnerung zu bringen als ob diese finstere Gestalt durch den Schrecken den sie uns einjagte . . .
Der Sarg hatte die Türen durchquert gefolgt von der Familie in Trauer, die Mutter mit wehenden Schleiern wie eine Fledermaus, schwarze Handschuhe, schwarze Strümpfe an ihren Ziegenbeinen, Boxkalf von Tripeau, die Leier ist bekannt, am Arm des Vaters im Gehrock, mit steifem Kragen, Lackschuhen, sein armes Mondgesicht vom Kummer, vom Pernod und allem andern verquollen, plus Sohn und Tochter, die Vettern, der ganze Familienclan, eine alte Vettel wer konnte das sein, ein alter Kohlenhändler, eine ehemalige Tragödin vom Theater vollgeschmiert mit Rimmel und Vaseline gefolgt von den sauber gekleideten Schulkindern und dem Fräulein Praktikantin erinnern Sie sich noch die der junge Magnin im Jahr der Mission vernascht hat vor... vor...
Alle haben Haltung angenommen oder es zumindest versucht, der Vater hat uns
einen den Umständen angepaßten Blick zugeworfen, war es voll Kummer, Dankbarkeit
oder Würde, schwer zu sagen, wahrscheinlich wußte er es selber nicht, wenn man
sich jahrelang kennt sollte einem der Gesichtsausdruck des ändern
vertraut sein aber nein, es war ganz einfach der Begräbnisausdruck den man selbst
am bestimmten Tag und zur bestimmten Stunde annehmen wird, kurzum man hat sich
in der Menge ein Stück vorwärts bewegt geradesoviel um sich mit der Seele des
Dingsbums wie heißt es nur zu vereinen, die Trauer der einen geteilt von den
andern, eine Art Kollektivsprung ins Tal der Tränen oder die Grube der Alpträume,
Paniken und anderer Annehmlichkeiten die ad vitam unser Dasein würzen. - Robert Pinget, Befreie uns. Berlin 1998 (zuerst 1968)
Hinterbliebene (3) Finster und habsüchtig
geworden im großen Gebrodel des latenten Geizes,
welcher der gesamten Verwandtschaft der Valdarena gemeinsam war, schienen
sie nun, in jenen Wartestunden der vergangenen Nacht, unter dem Hin und
Her von Ratschlägen, dem weitverzweigten Stimmengewirr von der Quästur,
der echt römischen Stimme der Signora Manuela und dem wüsten Telephongequassel
des Vortages, nunmehr schienen sie, Tante Marietta und Tante Elvira, enttäuscht
von der Enttäuschung dieses Augenblicks. Wieso, Lilianuccia, hatte sie
denn für die Kusinen nicht einmal ein kleines Andenken hinterlassen? Nichts
für die Tanten? Für ihre Tante Marietta, die sie
auf den Armen gehalten hatte, seitdem ihr die Mutter gestorben war? Nicht
einmal einen kleinen Muttergottesanhänger? Von dem ganzen Juwelierladen,
den sie da im Schrank versperrt hatte? An ein Testament hatte sie natürlich
gar nicht denken können, das arme Mädchen! Wenn einer auf diese Weise sein
Leben lassen muß, dann kann er das ja nicht vorher wissen, nicht vorausahnen.
Heiligemuttergottes, man könnte den Verstand verlieren! Was für eine Welt!
Was für eine Welt! Und dann mußten sie an ihren Giuliano denken. Diese
Verhaftung ernpfanden sie als eine Beleidigung: ein Unrecht an ihnen allen,
an der prächtigen Familie der Valdarena, »einer Familie, wie es im ganzen
Bürgerstand nicht eine zweite gibt«, einer der blühendsten, festverankertsten:
Männer, Frauen, Kinder. Der Gedanke, daß eine Tochter aus diesem Hause
auf diese Weise dem Teufel in die Fänge geraten war noch dazu mitsamt den
besten Hochzeitsgeschenken, mit allem
Gold und allen Juwelen, ohne ein Andenken zu hinterlassen, ohne ein Wort
des Abschieds! Allein dieser Gedanke . . . arme Tanten! er verwandelte
sich bereits in eine Wahnidee, in ein Herzleiden. Ein solches Hinmorden!
Haß, Schrecken, Entsetzen, ein Schrei in der Finsternis! Die Verschwörung
der Menschen, die gentes, die Geschlechtsgenossenschaften, sie neigen dazu,
beim Ausbruch einer solch dämonischen Spannung, die auf so drastische Weise
ihre Standes-, einwohner- und kirchenamtlich beschleunigte Gemeinschaft
zerfleddert, ihre langen, ihre wohlbedachten Lebensabsicherungen, sie neigen
dazu, wenigstens nach dem Buchstaben des Rechts, wenn auch ohne faktischen
Erfolg, ihre Pfunde wieder einzufordern. Commodatam repetunt rem.
Sie rufen es zurück aus dem Dunkel der Nacht. Sie verlangen es wieder,
verlangen ihre Blume! mit dem zerbrochenen Stiel! alles, was sie aus ihrem
Leben dazugespendet haben. Wie Eisenspäne vor dem Magneten richten sich
die kleinsten Fäserchen aus ihren Eingeweiden wieder aus in Richtung der
»Heimkehrspannung«. Sie spüren den Drang, die ausgestrahlten Einheiten
wieder zurückzusaugen, die biologischen Einheiten, die einst lebende Person,
in ihnen ewig lebende Person und durch das heilige Sakrament der Ehe einem
Sempronius überlassen. Sie möchten es wieder zurückerstattet haben, das
ehefähige Element, welches sie einem anderen geboten hatten, dem Gatten
(in diesem Fall): dem Schwager oder dem Schwiegersohn, der ihnen vom Volk
geboten war. Und die ehefähige Einheit, deren Zugehörigkeit man reklamiert,
schließt ja auch einen wirtschaftlichen Faktor mit ein. Sie war eine prachtvolle
Tochter des Stammes, und da war ein Trühlein voller Juwelen: das eine wie
das andere herangereift im Laufe der Jahre: der langsamen, verschwiegenen
Jahre. Sie war eine Tochter mit einer Truhe: für die sie, die Valdarenas,
dem Gatten das Schlüsselchen anvertraut hatten: und damit das Recht, sich
beider zu bedienen: tricktrack: das geheiligte Nutznießertum. Und der Adjutant
Christi in der Kirche der Quattro Santi hatte den Vertrag gesegnet. Mit
viel Weihwasser in nomine domine: ohne allzuviel Geplansche jedoch. Sie,
unter dem Kranz aus Orangenblüten und unterm Schleier, hatte das Haupt
gesenkt. Nun sollte er's zurückzahlen, zurückzahlen, was er so schlecht
verwahrt hatte, dieser Gorilla von einem Jäger, dieser Reisende in Textilien.
Welchen Gebrauch hatte er von ihrer Schönheit gemacht? oder welchen Mißbrauch?
von soviel sanfter Schönheit? oder von ihren Angebinden? von den hübschen,
kostbaren Angebinden? Und wo hatte er sie hin verramscht, diese Angebinde?
Und die Goldstücke mit dem Bild des häßlichen Ritters? Die goldgelben,
die runden, schönen Taler von damals, als noch nicht der Narr drinsaß,
im Palazzo Chigi, der vom Balkon herunterkreischte wie ein Lumpensammler.
Achtundvierzig Stück hatte sie von denen, Lilianuccia, acht-undvierzig,
wohlgezählt: und sie machten Tschintschin in ihrem Beutelchen aus rosa
Seide, dem Beutelchen des Hochzeitskonfekts von der Großmutter. Die wogen
mehr als ein Nierenbraten zu Weihnachten. ›Und wo sind sie jetzt ?‹ dachten
sie. ›Ob er's wohl weiß, der Herr Jäger?‹ Manet sub dove frigido.
Welcher Hochzeit hat er sie je zugeführt? die Braut, die Gültigkeit ihres
Fleisches und ihrer Mitgift? Was hat er draus zu machen gewußt, dieser
schlagflüssige Reisevertreter, aus diesem zarten Fleische? und aus ihrem
Schatze? der eins war mit ihrem Fleisch und Blut? Ja, ja, aus diesem Häufchen
Gold? das ihr zugehörig war durch das hartnäckige Mahlen der Zeit, der
wirtschaftlichen Begabung ihres spendenden Stammes? Genau wie jene lauen
Glieder war es auf sie gekommen aus der aufgehäuften Kraft und dem Drang
der Generationen, nach den herben Anfängen der Frühe. Also schienen sie
zu sprechen, die Verwandten der Liliana: »Oh, süße Braut, gespickt mit
süßen Beeren! Du Schatz der Jahre! Unverhofftes Guthaben der Tagundnachtgleiche!
Geh er's zurück nunmehr, spei er's wieder aus, der kleinhändlerische Esel!
Daß er's nicht wage, den Giuliano zu verdächtigen, diesen herrlichen Sproß
des Stammes, nur weil er den Vergleich mit ihm hinnehmen muß!« Das Gehirn,
das Gehirn dieser beiden Hexen, Tante Marietta und Tante Elviruccia, delirierte:
»Giuliano, Blüte der Valdarena! Erfüllung der zeugenden Tage! Krume des
Lebens!« - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung
in der Via Merulana. München 1988
Hinterbliebene (4) Madame Pôs Töchter, jede von ihrem kleinen Hofstaat umgeben, waren schon ins Streiten geraten.
Barberine, die Jüngste, hatte ihre Nervenkrise gehabt. Man kann seine Mutter
doch nicht verlieren, ohne die Hände zu ringen, ohne in lauten Jammer auszubrechen,
das ist doch das mindeste, selbst wenn man sie liebt, und man kann seine Mutter
sehr wohl lieben, ohne für ihren Unterhalt aufzukommen, und ihr auch noch das
letzte Linnen verweigern, mit dem sie die letzte Träne sich im Sterben vom Gesieht
wischen könnte, wenn man nur beim letzten Seufzer sich aufmacht, um sie noch
sterben zu sehen, und wenn man nicht mehr vom Lager der Gestorbenen weicht,
um dort zwei Tage lang die Zeit mit Nichtstun totzuschlagen. Was kümmern den
Christen das Leben und die Leiden des Körpers, wenn nur dem Leichnam alle Ehre
erwiesen und er nach Brauch und Sitte zur Erde bestattet wird ? Barberine hörte
auf, die wohlabgezählten Tränen zu vergießen, die sie der Toten schuldig zu
sein glaubte, als nun die Rede auf ihr Alter kam. Da sie aber wußte, daß sie
dem Gespräch nur durch eine ihrer Pirouetten, die ihr Geheimnis waren, eine
andere Wendung zu geben vermochte, durch etwas Ausgefallenes, etwas Phantastisches,
einen Possen, indem sie etwa ihrer armen guten alten Mutter mit einem Gelächter
unter die tote Nase fuhr, so lachte sie denn und wiederholte unaufhörlich, ohne
daß man je erfahren hätte, warum, zu ihrer Schwester Emma gewendet die Worte:
«Du machst ja ein Gesicht wie Tante Boby, Tante Bobine, Tante Bobinette, Bobinette
bums fallera», und sie wollte sich ausschütten vor Lachen, während das Antlitz
der Madame Pô zwischen den Kerzen fortleuchtete und der ganze Körper immer mehr
zusammenschrumpfte, um sich dem Skelett anzugleichen, das man durch das Laken
schimmern zu sehen meinte. - Marcel Jouhandeau, Madame Pô
stirbt. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
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