ingabe
An der Wende zum 13. Jahrhundert vergleichen provençalische
Dichter, vielleicht inspiriert durch
weit verbreitete Berichte über einen Anschlag von ›Assassinen‹
auf König Philipp August von Frankreich 1192, die eigene Hingabe
an ihre Damen mit der der Assassinen an den ›Alten vom Berge‹.
»Ihr habt mich«, sagt ein Troubadour zu seiner Dame,
»vollkommener in Eurer Gewalt als der Alte seine Assassinen,
die seine Todfeinde töten . . ,« »Wie die Assassinen ihrem Meister
standhaft dienen«, sagt ein anderer, »so habe ich Amor gedient
in unverbrüchlicher Treue.« In einem anonymen Liebesbrief versichert
der Schreiber seiner Dame: »Ich bin Euer Assassine, der das Paradies
erhofft, indem er Euren Befehlen nachkommt.« Ein italienisches
Sonett, vielleicht ein Jugendwerk Dantes, benutzt das
gleiche Bild, wenn es die Hingabe des Liebhabers an die Geliebte
»Più che Assassino al Veglio e a Dio il Presto« nennt. -
Bernard Lewis, Die Assassinen. Zur Tradition des religiösen Mordes
im radikalen Islam. (Die Andere Bibliothek 59, 1989, zuerst 1967)
Hingabe (2) »Der Kiefernwald« ist es, auf den ich, aus Instinkt, immer wieder zurückkomme, als auf den Gegenstand, der mich umfassend interessiert, der meine Person ganz in Bann schlägt, der alles in mir zum Spielen bringt. Er ist einer jener einzigartigen Gegenstände, dem ich mich ganz und gar gebe (oder in dem ich mich verliere): ein wenig wie ein Forscher bei seiner nur ihm allein möglichen Suche.
Nicht um Bericht, Erzählung
oder Beschreibung geht es, sondern um Eroberung.
-
Francis Ponge, Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine. Frankfurt am Main 1982 (zuerst 1952)
Hingabe
(3) Es gibt keinen ärgeren Sophismus als zu behaupten,
die Ausübung des Geschlechtsaktes sei
notwendigerweise begleitet von einem Nachlassen der erotischen Spannung zwischen
zwei Menschen, einem Nachlassen, das in der Wiederholung Schritt für Schritt
dahin führe, daß sie einander nicht mehr genügen. So setze die Liebe in dem
Maße, als sie ihre Verwirklichung erstrebe, sich selber der Zerstörung aus.
Immer dichter sinke ein Dunkel über das Leben, Schicht um Schicht bei jedem
neuen Ausbruch des Lichtes. Der Mensch sei hier berufen, nach und nach das Merkmal
seiner Erwähltheit für einen anderen einzubüßen, wider Willen sehe er sich auf
die bloße Substanz zurückgeworfen. Eines Tages werde er erlöschen, von nichts
als seinem eigenen Glanz verzehrt. Der große Hochzeitsflug führe zur mehr oder
minder langsamen Verbrennung eines Wesens in den Augen des anderen; sei diese
Verbrennung geschehen, würden jedem von ihnen andere Geschöpfe sich mit Reiz
und Geheimnis schmücken, und beide wären, auf die Erde zurückversetzt, frei
für eine neue Wahl. Nichts Herzloseres, nichts Trostloseres als diese Vorstellung.
Doch kenne ich keine, die weiter verbreitet und eben darum geeigneter wäre,
einen Begriff zu vermitteln von dem großen Jammer der gegenwärtigen Welt. Eine
Julia, die weiterleben würde, wäre also nicht immer mehr Julia für Romeo! Es
ist nicht schwer, die beiden Grundirrtümer aufzudecken, die einer solchen Ansicht
Vorschub leisten: der eine gesellschaftlicher der andere moralischer Herkunft.
Der gesellschaftliche Irrtum, gegen den es kein anderes Heilmittel gibt als
die Zerstörung der ökonomischen Grundlagen der augenblicklichen Gesellschaft,
wurzelt in dem Umstand, daß es dem, der liebt, nicht wirklich erlaubt ist, aus
freier Wahl sich zu entscheiden, daß dort, wo eine solche Wahl ausnahmsweise
sich durchzusetzen strebt, dies in einer Atmosphäre der Nicht-Wahl geschieht,
die jedem Gelingen feindlich gesonnen ist. Die schmutzigen Erwägungen, die man
dieser Liebe entgegenhält, der heimliche Krieg, den man gegen sie führt, mehr
noch die immer angriffsbereiten, ihr heftig widerstreitenden Vorstellungen,
die sie allenthalben umgeben, sind, wie man wohl zugeben muß, allzu oft danach
angetan, sie zu entmutigen. Aber diese Liebe trägt die größten Hoffnungen,
die seit Jahrhunderten in der Kunst ihren Ausdruck gefunden haben, und es
fällt mir schwer, einzusehen, was unter erneuerten Lebensbedingungen ihren Sieg
verhindern sollte. Der moralische Irrtum, der mit dem eben genannten um die
Wette dahin führt, die Liebe in der zeitlichen Erstreckung als ein Versiegen
und Hinschwinden sich vorzustellen, gründet in dem Unvermögen der meisten Menschen,,
sich frei zu machen von allen Bedenken, die der Liebe fremd sind, von jeder
Furcht, wie jedem Zweifel, wehrlos dem blitzenden Auge des Gottes sich auszusetzen.
Auch hier ist die Erfahrung des Künstlers, wie die des Wissenschaftlers, eine
große Hilfe, weil sie zeigt, daß alles, was sich bildet und bleibt, um zu sein
zuvor diese Hingabe forderte. Man kann gar nichts Besseres tun, als dahin wirken,
daß die Liebe jenen bitteren Nachgeschmack verliert, den beispielsweise die
Poesie nicht kennt. Ein solches Unterfangen kann aber sein Ziel nicht erreichen,
solange dem niederträchtigen christlichen Gedanken der Sünde noch nicht überall
der Garaus gemacht ist. Es hat niemals eine verbotene Frucht gegeben. Nur die
Versuchung ist göttlich. Daß einer das Bedürfnis empfindet, den Gegenstand dieser
Versuchung auszuwechseln, ihn durch ein anderes Wesen zu ersetzen, zeugt schon
dafür, daß er bereit ist, sich gegen die Unschuld zu vergehen, ja daß
er ohne Zweifel sich gegen sie schon vergangen hat. Gegen die Unschuld im Sinne
des Freiseins von jedem Schuldgefühl. Wenn die Wahl wirklich frei war, kann,
wer sie getroffen hat, sie unter keinen Umständen anfechten. Da und nirgendwo
anders entsteht das Schuldgefühl. Die Entschuldigung der Gewöhnung, des Überdrusses
lasse ich hier nicht gelten. Die gegenseitige Liebe, wie ich sie hier betrachte,
ist eine Vorrichtung aus vielen Spiegeln,
die mir unter den tausend Blickwinkeln, die das Unbekannte für mich einnehmen
kann, das getreue Bild der Geliebten zurückwerfen: immer überraschender im Erraten
meines eigenen Verlangens und immer goldstrahlender vor Leben. - André
Breton, L'Amour fou. Frankfurt am Main 1985 (zuerst 1937)
Hingabe (4)
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