ineinsehen
Wenn man ihn auf der Breitseite aufstellt, erinnert der Metallklumpen
entfernt an den Umriß eines Menschen, der zusammensackt, sich wieder aufrichtet
oder sich abstützt. Auf beiden Seiten des angedeuteten Torsos können ungleiche
Fortsätze, die steif und konfus wirken, für Gebärden, für Armansätze gehalten
werden. Ein Riß, der wie gerufen kommt, zerschneidet das Profil eines gebeugten
Knies, trennt eine lockere oder eine durchgedrückte Kniekehle sowohl vom Boden
wie von einem fragwürdigen Rumpf. Das unregelmäßige, beinahe ungeschlachte,
aber richtig proportionierte Bruchstück, das den Platz des Kopfes einnimmt,
trägt durch seine Schroffheit, seine Einbuchtungen, seine Auswüchse dazu bei,
dem Ganzen etwas undefinierbar Wildes, Ausgeglühtes zu verleihen.
Gewiß, solche Deutung lebt nur vom Imaginären, wenn nicht vom Wahnhaften. Wenn man kühlen Kopfes jeden Umriß studiert, gewahrt man rasch, daß die Menschengestalt in diesem Stück Kupfer, das aus dem Schlamm exhumiert worden ist, ebensosehr oder ebensowenig sich abzeichnet wie irgendeine andere Form.
Doch für den Menschen besitzt das Bild des menschlichen Körpers eine so merkwürdige
Anziehungskraft, daß so gut wie jeder, möchte ich
meinen, in dieser zweideutigen Masse spontan ein Lebewesen entziffert,
erfindet oder es in sie hineinsieht, das gerade
zusammenbricht oder sich in letzter Anspannung verkrampft. Vielleicht Niobe,
wie sie ohnmächtig der Abschlachtung ihrer Söhne beiwohnt, oder Herakles,
der gerade die stymphalischen Vögel ausgerottet hat und, schon ermattet, noch
einmal seinen unsichtbaren Bogen spannt. Ein jeder bemüht den Vorrat seiner
Legenden, um ein undeutliches Gespenst zu identifizieren.
-
(
cail
)
Hineinsehen (2)
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