Herzensergießung   «Was meinst du», wollte Ned wissen, «ist Sex schmutzig? Wie steht es damit, Henry, ist Sex schmutzig?»

«Sex ist einer der neun Gründe für die Keimkamation», antwortete ich. «Die anderen acht sind unwichtig. Wenn wir alle Engel wären, hätten wir keinen Sex - wir hätten Flügel. Ein Flugzeug hat keinen Sex, ebensowenig hat Gott Sex. Sex sorgt für Fortpflanzung, und Fortpflanzung führt in die Irre. Die sexuellsten Menschen der Welt, heißt es, sind die Irren. Sie leben im Paradies, haben aber ihre Unschuld verloren.»

«Für einen intelligenten Menschen redest du eine Menge Unsinn», versetzte Marcelle. «Warum sprichst du nicht über Dinge, die wir alle verstehen? Warum tischst du uns allen diesen Scheiß von Engeln, Gott und Klapsmühlen auf? Wenn du dich betrunken hättest, wäre es etwas anderes, aber du bist nicht betrunken, du tust nicht einmal so, als ob du betrunken wärst ... du bist einfach überheblich und arrogant. Du ziehst hier nur eine Schau ab.»

«Gut, Marcelle, sehr gut! Willst du die Wahrheit hören? Ich langweile mich. Ich habe es satt. Ich kam her, um was zu essen zu bekommen und etwas Zaster zu borgen. Ja, sprechen wir über einfache, gewöhnliche Dinge. Wie war deine letzte Operation? Hast du lieber weißes oder dunkles Fleisch? Laß uns über alles sprechen, was uns davon abhält, zu denken oder zu fühlen. Sicher, es war verdammt nett von dir, daß du uns einfach so prompt zwanzig Dollar gegeben hast. Wirklich großzügig von dir. Aber ich werde kribbelig, wenn ich dich sprechen höre ... Ich will jemanden etwas ... etwas Ursprüngliches sagen hören. Ich weiß, daß du ein gutes Herz hast, niemandem etwas zuleide tust. Und ich nehme an, du mischst dich auch nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Aber das interessiert mich nicht. Mir hängen gute, edle und gütige Menschen zum Halse heraus. Ich will Charakter und Temperament sehen. Du lieber Himmel, in dieser Atmosphäre kann ich nicht einmal betrunken werden. Mir ist wie dem Ewigen Juden zumute. Ich würde am liebsten das Haus in Brand stecken oder so was. Vielleicht wenn du deinen Schlüpfer ausziehst und ihn in den Kaffee stipst, würde das helfen. Oder nimm ein Frankfurter Würstchen und klimpere dir einen ab ... Seien wir einfach, sagst du. Gut. Kannst du einen lauten Furz lassen? Hör zu, früher einmal hatte ich einen gewöhnlichen Verstand, gewöhnliche Träume, gewöhnliche Wünsche. Ich wurde fast verrückt. Ich verabscheue das Gewöhnliche. Ich bekomme Verstopfung davon. Der Tod ist gewöhnlich - er widerfährt Jedem. Ich weigere mich zu sterben. Ich habe mich entschlossen, ewig zu leben. Der Tod ist leicht, er ist wie die Klapsmühle, nur kann man nicht mehr masturbieren. Du magst deinen Fick, sagt Ned. Freilich, das tut jeder. Und was dann? In zehn Jahren wird dein Arsch runzelig sein, und deine Piezen werden herunterhängen wie leere Duschebeutel. Zehn Jahre ... zwanzig Jahre .. .was ist der Unterschied? Du hast ein paar gute Ficks gehabt, und dann bist du ausgetrocknet. Also was? In dem Augenblick, wo du aufhörst, dich zu amüsieren, wirst du melancholisch. Nicht du lenkst dein Leben - du läßt das deine Möse für dich tun. Du bist einem steifen Schwanz auf Gnade und Ungnade ausgeliefert ...»

Ich hielt einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen, ziemlich erstaunt, daß man mir nicht eins in die Fresse geschlagen hatte. In Neds Augen entdeckte ich ein Funkeln, das man als freundlich und ermutigend, aber auch als mörderisch deuten konnte.   - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)


Herz



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