Hermaphrodit  

 

Monstrum hermaphroditicum pedibus aquilinis 

- Aus: Aldrovandi, Monstrorum Historia

Hermaphrodit (2)   Eine bleiche und abweisende Figur, fängt und bannt er meinen Blick. Als ich sein gemischtes, genaues und zweideutiges Profil erkenne, verspüre ich eine ins Böse gekehrte Freude und einen finsteren und feigen Schrecken, gleichsam als wüßte ich nicht, daß ein Spiel nicht immer spielerisch ist, und daß ich eines Tages gerade ihm begegnen mußte: dem ahnungslosen Ungeheuer, das ich den Helden genannt. Er scheint meine Anwesenheit nicht nur nicht zu bemerken, sondern sich auch nicht darum zu kümmern, und selbst wenn er könnte, würde er nichts davon wissen wollen. Ich weiß nicht, ob es statthaft ist, diese Zwei-heit, die den Raum besitzt, mit dem Namen einer einzigen Person zu benennen: denn es ist der Hermaphrodit. Ein Doppelwesen, unkundig des »Du«, widernatürlich komplett und in seinem zweifachen Gesicht sowohl mir wie Dir ähnlich. Er weiß nichts von Flucht, Reiseweg und Verfolgung. Schweigsam seit jeher, viel-äugig und blind, verschlungen in die Umarmung mit sich selbst, schließt sein Männermund seinen Frauenmund in sich ein. Er ist Wut und Zerfließen zugleich. Sein Körper ist glatt und kalt - ein kompaktes Marmorbild. Er hört weder Klang, noch Geräusch, noch Lufthauch. In meiner zusammengewürfelten und bruchstückhaften Erinnerung weiß ich, daß ich ihn gekannt und mit der hassenswerten Vollkommenheit dieses Bildnisses zusammengelebt habe. Ich habe Dich und die Zweiheit verfolgt - jenen Teil der Zweiheit, der Dich nadiahmt und der mich nachahmt, der ich mich an Dich schmiede; seit jeher ist mir seine heilige und unkeusche Hochzeit mit sich selbst bekannt; in dem ewigen Alkoven der Nacht, der seine unversöhnlichen Begierden birgt, habe ich öfter geweilt. Er hat sich verführt, betrogen und geschändet. Er besitzt sich aus Liebe und Wollust. Er sucht Dich nicht, er ahmt Dich nach; so daß die andere Hälfte der Zweiheit - die mich nachahmt -ihr Abbild liebt. Aber dieses vollkommene, naht- und fugenlose Wesen ist durch eine unschließbare Spaltung gezeichnet. In jedem Augenblick, in dem es sich nicht verführt, stirbt es sogleich. Das verdoppelte Herz, das doppelte Blut, die Verzweigung der Genüsse, das unerbittliche Eindringen des Samens in den Schoß, der un-unterscheJdbare Speichelklumpen: überall vermehrt die Wollust die Bereitschaft zum Tod. Jetzt verstehe ich jenes Haus - sein Haus; die unerreichbare Vollkommenheit, das Es-selbst-und-nichts-anderes-Sein; das hermaphroditische Haus; in ihm schlafen alle Betten, essen alle Teller und sitzen alle Stühle. Das Haus ist ein Grab.

Ich weiß, daß ich immer schon Hermaphrodit werden wollte; und Du hast es auch gewollt; aber die Ferne läßt uns keine Ruhe; sie ist meine und Deine Essenz. Ich kann weder in Deinem wandelbaren Haus wohnen noch die unwegsamen Stufen hinaufsteigen, die zu Deinen Träumen führen. Ich werde keins der nächtlichen Bilder sein, die Dich in Deinem Inneren begleiten. Wir werden beide immer draußen leben - zusammengekauert vor der geschlossenen Tür zu den Träumen des anderen. Jeder von uns ist ein unvollkommenes Modell des Hermaphroditen - was uns zugleich trennt und ineinander verstrickt. Von meinem Geschlecht bleiben mir nur Spuren, und bestimmt habe ich Dich Deines Geschlechts beraubt; wir haben uns gegenseitig verstümmelt, ohne uns je zu berühren.  - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin 1982

 

Zwei Menschen, gemischte Hermes

 

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Transe
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