eranwachsen
Ich versoff die fünfzig Pesos. Gegen neun Uhr abends war das Geld alle,
und ich ging zurück in mein Apartment. Ich legte mich hin und versuchte zu schlafen.
Als ich die Augen zumachte, sah ich ein orientalisches Gesicht, bei dem eine
Krankheit Lippen und Nase zerfressen hatte. Die Krankheit breitete sich aus,
das Gesicht zerlief zu einer qualligen Masse, in der die Augen schwammen. Es
waren die toten Augen einer Kellerassel. Langsam bildete sich um die Augen herum
ein neues Gesicht, dann eine Reihe von Gesichtern,
immer gräßlicher entstellt, unentzifferbar wie Hieroglyphen, und alles steuerte
unaufhaltsam auf ein menschliches Endstadium zu - die menschliche Gestalt gab
nach, und das widerliche tierische Monstrum, das
in ihr herangewachsen war, brach hervor. - (
jun
)
Heranwachsen
(2) Kaum hatte das Wurzel-Männlein
eine Springwurzel genossen, so fing es an so lächerlich über Tisch und Stuhl,
kopfüber, kopfunten zu springen, daß Bella in Angst die Augen wegwenden mußte
und ihm ängstlich wie ein Huhn dem ausgebrüteten Entchen nach lief und nach
sah, wie sie ihn nirgend fassen und erreichen konnte. Listig wußte er bald an
allen Ecken aufzusuchen, was ihm diente, so fand er bald auch die Sprechwurzel,
welche die grünen Papageien vom höchsten Gipfel des Chimborasso in die Ebenen
bringen, wo sie die Baumschlangen von ihnen gegen Äpfel eintauschen, die am
verbotnen Baume gewachsen, wer sie aber den Schlangen abjagt, das kann allein
der Teufel und sie von dem zu bekommen, ist schwer und hat schon manchen ehrlichen
Erzieher in Verlegenheit gesetzt. Als er diese ekelhafte Wurzel gierig genossen,
sprang er auf einen Ofen und wie ein Vogel, dem die beschnittnen Flügel wiedergewachsen,
zur Verwunderung seines Herrn, plötzlich empor auf den Baum vor dem Fenster
fliegt und erst spottend sein Lied pfeift, das er von ihm gelernt, eh' er sich
von ihm fort im wilden Natursang durch die Luft schwingt, so waren die ersten
Worte des Männleins ein spottendes Wiederholen ihrer Lehren: »Sei artig, sei
gut, sei stille!« - Er konnte nicht aufhören, ihr das vorzusagen; sie hätte
ihn gern gezüchtigt, aber er saß ihr zu hoch. Zuletzt um ihre Geduld ganz zu
erschöpfen, setzte er sich eine alte verrostete Brille
auf, und fabelte in leeren spottenden Einfällen von allerlei Neckerei, die er
der Welt antun möchte, um sich zu unterhalten. Da mußte sie laut weinen und
konnte nicht mehr hinauf sehen, denn das Vertraulichste am Menschen sind die
Augen und es ist wohl zum Verzweifeln, wenn die Schwäche der Natur solchen harten
fühllosen Glasglanz zwischen dem geliebten Menschen und uns notwendig macht,
und das kann den Scharfsehenden schwindlig machen, wenn er sehen muß, wie der
Sinn, der sonst seine Freude nur in Luft und Licht sucht, jetzt die harte Gewalt
der Erde zu seiner Hülfe brauchen muß, die ihn notwendig mit sich herabzieht
und vernichtet. Eine Brille ist das schrecklichste Gefängnis, aus welchem die
ganze Welt verändert erscheint und nur die Gewohnheit kann den Schreck vor dieser
Welt, wie sie dadurch erscheint, aufheben. Wirklich erschrak jetzt Bella bis
im tiefsten Herzen vor dem Liebling, der im Luftraume ihrer Schöpfung vergöttert
gewesen, sie sah ein, daß sie auf ein Mittel denken müsse, den Alraun zu bezwingen
und nahm sich vor, darüber mit Braka zu reden. Als sie das still in sich beschlossen
hatte, rief ihr das Männlein vom Gesimse des Zimmers zu: »Hör Bella, ich habe
dich eben mit den Augen in meinem Nacken angesehen, da ahndet mir, du hast mich
nicht mehr so lieb, wie im Anfange und wenn ich das gewiß weiß, so ist's um
dich geschehen!« - Achim von Arnim, Isabella
von Ägypten
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