ennen,
orphische Die Hennen hatten, wie alle Tage, das Drama
überlebt: seit Jahren nunmehr hatten sie, diese Ex-Jüngerinnen der Melpomene,
ihre so leicht vorhersehbaren und berechenbaren Ausbrüche aus dem frühen und
jugendlichen Irrtum des Scharrens und Gackerns um ein Nichts und Wiedernichts
in hebephrenes Crescendo, zu einer rituellen Algolagnie ausgebaut: sozusagen
für die Bühne bearbeitet als »Szene für nordische Touristen«: hatten sich, aus
poetischer Bewußtheit, dem Schweigen und der vagotonen Blässe des Mystikers
verschrieben. Ihre Einweihung in die orphische Lehre hatte sich nach und nach
zur Meisterschaft vervollkommnet: hatte den Klimax einer malerischen Weisheit
erreicht und die akustischen Virtuoseneffekte der Pubertät hinter sich gelassen.
Eine halberloschene, dämmernde und trotz allem stets disponible und wiedererweckbare
Wollust erwachte in ihnen täglich beim Heranschlattern des gemischten Personen-Güterzugs
und seinem Föff, bei der gewohnten Fiktion: dem künstlichen Orgasmus
des Opfers, das von niemandem bedroht wird, beim überstürzten Getrippel und
dem Sturmlauf entlang den Geleisen und dem Bahndamm, beim Versuch, sich in die
Luft zu erheben (wird Delagrange fliegen?), beim simulierten Selbstmord, die
Scheinwerfer im Nacken, und unter gleichzeitigem Ausklinken einiger Bonbons,
während der Föfföff vorübereilt. Wenngleich das orgiastische Motiv fiktiv war,
so konnte doch die kleine Bescherung nicht fiktiv erscheinen: so wie auf der
Bühne die fiktiven Leidenschaften gewöhnlich eine Bresche schlagen für nicht
fiktive Küsse und die Gehörnten auf der Bühne oft und
oft aussehen, als wären sie in der Tat gehörnt. Jeden Tag, jeden Vormittag.
Kaum jedoch, daß die lokomotorische Einheit ihren Auftritt absolviert, ihr Schnaufen
verpufft, sobald sie die obligate Rolle der Schrecknisse abgespult hatte, nahmen
jene ihr Gescharre wieder auf, als wäre nichts gewesen, und pickten, als vertilgten
sie ein übles Kraut, mit geschäftigem Niederstoßen und Wiedereinziehen des Kopfes,
des Halses, die raren Würmchen aus dem Boden. - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung
in der Via Merulana. München 1988
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