emisphären
KAISER Wollen Sie weiter hören, Schubert?
SCHUBERT
Selbstverständlich.
KAISER Das Gehirn — das Gehirn
wird auf krankhafte Stellen, Eiterablagerungen, Verletzungen, Tumore hin untersucht,
beispielsweise ist es möglich, daß die gesamte oder ein Teil der Hirnmasse durch
äußere Einwirkungen zu einem blaß- bis dunkelroten Brei zermalmt ist.
SCHUBERT
nachdenklich Mein Gehirn ist zermalmt. Ein blaß- bis dunkelroter
Brei, unfähig einen Gedanken zu fassen. Eine unvorstellbare Vorstellung.
KAISER
Es ist wie die Sache mit dem Geköpften, der seinen Körper hinter
dem Schafott liegen sieht.
SCHUBERT Fahren Sie bitte fort und
entschuldigen Sie meine dauernden Unterbrechungen.
KAISER Da
gibt es nichts zu entschuldigen, lieber Schubert. Also, nach dieser oberflächlichen
Untersuchung des Gehirns geht man an die Obduktion der tieferen Gehirnteile.
Ich muß mich erinnern. Wie war das? Der Obduzent drückte die Hemisphären mit
den Händen auseinander, löste mit den Fingern das zarte Verbindungsgewebe, legte
die Gefäße des Markbalkens nach rückwärts, faßte mit der linken — nein — mit
der rechten Hand an die Innenfläche der — linken Hemisphäre und schnitt sie
mit einem geraden, nach hinten gesenkten Schnitt heraus. Das gleiche tat er
auf der anderen Seite. Mit dem kleinen Finger der linken Hand — in der rechten
führte er das Skalpell — stieß er nun in die Seitenkammern vor und prüfte Blut
und Exudate. Nun, um in die dritte Kammer zu gelangen, wird, soweit ich mich
richtig entsinne, der linke Daumen in die rechte, der Zeigefinger in die nebenliegende
Kammer geschoben, der Balken samt der Scheidewand gefaßt, das auf dem Sehhügel
liegende Aderngeflecht angehoben, nach hinten gezogen und die auf dem Vierhügel
liegende Zirbeldrüse mit dem Skalpellheft hervorgeholt, zwischen den Fingern
zerdrückt, auf ihre Konsistenz geprüft und der Rest ausgeschabt.
SCHUBERT
Ein komplizierter Vorgang.
KAISER Das stimmt, und
er muß oftmals geübt werden.
SCHUBERT Wie geht es weiter?
KAISER
Folgendermaßen: Die Sehhügel werden voneinander getrennt und der
Zustand der dritten Kammer mit den Fingern abgetastet. Wiederum sind Blut, Liquor
und Exudate genau zu prüfen.
SCHUBERT Es gibt eine Anzahl von
Flüssigkeiten, die nur im Gehirn zu finden sind. Die Theorie der Säfte kommt
mir in den Smn.
KAISER Was meinen Sie?
SCHUBERT Nichts.
Man könnte eine Typologie der Krankheit, eingeteilt nach pathologischen Säften
aufstellen. Der Eitertyp — gelblich und schwammig; der Blutwassertyp — durchsichtig
und schlank; der Liquortyp — denkfreudig und nicht umzubringen.
KAISER Eine
schöne Idee, an Ihnen ist ein Wissenschaftler verlorengegangen,
Schubert.
SCHUBERT Sie sind beleidigend, Kaiser. - Helmut Eisendle, Obduktion. In: H.E., Die Gaunersprache der Intellektuellen.
Frankfurt am Main 1986
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