- Heinrich von Kleist, Die Marquise von O...
Heiratsantrag (2) Am Abend holte Maria mich
ab und fragte mich, ob ich sie heiraten wolle. Ich antwortete ihr, das
wäre mir einerlei, aber wir könnten heiraten, wenn sie es wolle. Da wollte
sie wissen, ob ich sie liebe. Ich antwortete, wie ich schon einmal geantwortet
hatte, daß das nicht so wichtig sei, daß ich sie aber zweifellos nicht
liebe. «Warum willst du mich dann heiraten?» fragte sie. Ich erklärte ihr,
das sei ganz unwichtig; wenn sie wolle, könnten wir heiraten. übrigens
wollte sie es durchaus, während ich mich damit nur einverstanden erklärte.
Sie meinte, die Ehe sei etwas sehr Ernstes. Ich antwortete: «Nein.» Sie
schwieg eine Weile und sah mich an. Dann redete sie. Sie wollte nur wissen,
ob ich denselben Vorschlag einer anderen Frau, mit der ich auf die gleiche
Weise verbunden wäre, angenommen hätte. Ich antwortete «Selbstverständlich.»
Sie fragte sich dann, ob sie mich liebte, und dazu konnte ich nichts sagen.
Wieder schwieg sie eine Weile, dann sagte sie leise, ich sei ein seltsamer
Mensch, und sie liebe mich gerade deswegen, aber vielleicht werde ich ihr
eines Tages aus den gleichen Gründen ein Abscheu sein... Ich schwieg, weil
ich nichts zu sagen hatte. - Albert Camus, Der Fremde. Reinbek bei
Hamburg 1963 (zuerst 1953)
Heiratsantrag (3) Nach Schildkrötensuppe, Austern und Kaviar aßen die Vier Hecht grün mit der Grätenzange; der Fisch war vor einer halben Stunde im Michigansee gefangen worden und eine Delikatesse ersten Ranges.
Man aß bedächtig und sagte eine Weile gar nichts.
Da hob Herr Krug ein Stückchen Hechtleber hoch auf und bemerkte zu Fräulein Clara Weber:
»Meine Gnädigste, würden Sie wohl bereit sein, Ihr ganzes Leben hindurch nur graue Kostüme zu tragen - mit zehn Prozent Weiß?«
Er aß das Stückchen Hechtleber, und Miß Amanda flüsterte ganz leise:
»Das klingt ja fast wie ein Heiratsantrag.«
»Soll's auch sein!« bemerkte der Architekt. Fräulein Clara sagte ganz einfach:
»Ja!«
»Das finde ich,« sprach nun der Rechtsanwalt, »ein wenig kurz angebunden - und auch ein wenig leichtsinnig.«
»Warum? Warum?« riefen die Damen.
Der Rechtsanwalt räusperte sich, tat etwas wichtig und hielt dann folgende Rede:
»Meine Damen! Sie wissen offenbar noch nicht, was ein Ehekontrakt bedeutet. Ich aber weiß es, denn ich habe schon hundertfünfzig Ehescheidungsklagen geführt. Ich weiß, daß man bei der Formulierung eines Ehekontraktes nicht leichtsinnig sein darf. Mein Freund Edgar ist ein sehr reicher Mann. Er kann sich also den Luxus leisten, etwas leichtsinnig zu sein. Doch den Damen ist zu raten, nicht so einfach zu unterschreiben. Erst nachdenken! Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.«
»Und deine Rede war auch sehr lang!« bemerkte Herr Edgar.
»Nun meinetwegen,« sprach der Rechtsanwalt, während er den Füllfederhalter und Papier hervorzog, »können wir auch sofort zur Tat schreiten. Dann gibt's ganz bestimmt einen Prozeß, und ich erziele ein bedeutendes Honorar. Mir ist es auch ganz gleich, zu welcher Partei ich übergehe. Lieber Edgar! Du wünschest also die Kürze. Gut! Sehr gut! Graues Kostüm also! Sammet und Seide nicht ausgeschlossen?«
»Die sind,« versetzte Edgar, »in jedem Falle ausgeschlossen. Das Kostüm muß so sein, daß es eine buntfarbige Glaswand nicht übertönt. Das Kostüm muß zurücktreten vor der Architektur, darf dem Glase unter keinen Umständen Konkurrenz machen. Nur graues Tuch ist gestattet. Das hebt sich auch brillant vom Buntfarbigen ab, bildet zur bunten Glasarchitektur einen prächtigen Kontrast - und wird überall als wohltuende Zurückhaltung empfunden werden.«
»Ja,« fuhr nun der Rechtsanwalt fort, »sind nun alle Grautöne vom tiefsten Grau bis zum hellsten erlaubt?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Dann,« fuhr der Rechtsanwalt abermals fort, »wäre nur noch zehn Prozent Weiß näher zu definieren. Ist es gleich, ob das Weiß in Glacéhandschuh, Pelz, Spitze oder Leinwand besteht?«
»Ja!« erwiderte der Architekt.
»Sammet und Seide aber lehnst Du auch in Weiß ab, nicht wahr?«
»Ja!« klang's abermals zurück. Herr Krug arbeitete nervös mit der Grätenzange und nahm noch ein großes Stück Hecht. »Nun,« hub Herr Walter Löwe wieder an, »ist noch Folgendes näher zu erörtern: sind die zehn Prozent en face zu nehmen oder von der Seite?«
Herr Krug zuckte nervös mit den Schultern und aß seinen Hecht.
»Du bist,« bemerkte sein Freund, »übellaunig, aber die Sache muß doch erörtert werden, es kommt auch noch die Rückseite in Betracht.«
Die Damen lächelten. - Paul
Scheerbart
,
Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß. Ein Damenroman. München 1986 (zuerst
1914)
Heiratsantrag (4)
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