eimweh

Ich habe nicht nur Heimweh
sondern sogar mehr. Das Heimweh
ist eine Qual außerstande.
Man kann die Auswärtigkeit
nicht aushalten. Ich
möchte gerne heim.

- Ernst Herbeck

Heimweh (2)  Die Sehnsucht nach der Heimat erzeugt Heimweh. Es ist ein Krankheitszustand, der sich durch eine eigentümliche Schwermut und Abspannung kundtut, in Marasmus und Schwindsucht übergeht und den Tod zur Folge hat. - (conv)

Heimweh (3)  Die Frau hockte im Garten vor einem offenen Feuer und versuchte, Wasser abzukochen. Neben ihr saß eine Katze, die sich zu ihnen gesellt hatte; auf der Brust hatte sie eine tiefe Fleischwunde, und die Pfoten waren ihr verbrannt. Es lohnt sich, von den Katzen der Stadt zu reden. Sie waren nicht wegzulocken aus den Trümmern ihrer ehemaligen Wohnungen. Zwischen verkohlten oder noch schwelenden Balken schlichen sie umher und schrien vor Hunger. Die Menschen brachten ihnen etwas aus Mitleid, sie stürzten kreischend darüber her und fraßen es kampfbereit. Aber fassen ließen sie sich nicht, man mußte Gewalt und List anwenden. Die meisten starben trotz aller Pflege dann doch noch, vor Heimweh oder weil der Schrecken sie nachträglich aufzehrte. - Hans Erich Nossack, Der Untergang. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1948)

Heimweh (4)  Man leidet als entdeckter Verbrecher nicht am Verbrechen, sondern an der Schande oder am Verdruß über eine gemachte Dummheit oder an der Entbehrung des gewohnten Elementes; und es bedarf einer Feinheit, die selten ist, hierin zu unterscheiden. Jeder, der viel in Gefängnissen und Zuchthäusern verkehrt hat, ist erstaunt, wie selten daselbst ein unzweideutiger "Gewissensbiß" anzutreffen ist: um so mehr aber das Heimweh nach dem alten, bösen, geliebten Verbrechen. - (mo)

Heimweh (5)  

 Lieber Rönnebeck:

30. 3. 1945

. . . Versuch mal ganz schnell folgendes nachzusprechen: Wachsmaske, Messwechsel, Holzklotzpflock, Messwechsel, Wachsmaske, - schneller, Rönne, viel schneller. Jetzt dies: Fritze frißt frisch Schoepsenfleisch, frisch Schoepsenfleisch frißt Fritze — viel schneller, Rönning dear; und zum Abgewöhnen: Sechsundsechzig Schock sechseckige Sächsische Schuhzwecken. Ich lerne nämlich jetzt die Kunst des Vortragens, by mail, von einem ehemaligen Berliner Schauspieler, gegen Langeweile ... In Amerika langweilt man sich viel mehr als in Europa, Du auch? Wir könnten ja einen kleinen Club begründen. Wir drei erstmal, Du, Hui & I. Wie wäre zum Beispiel der Name: The Three Vacuum Brothers? oder nur einfach The Vacumists? oder The Vacuum & Lamento Boys — oder wir drehen's um, wie bei der Abfuhrreklame, und nennen unsern Verein nur monumental MUCAW — Mucaw hilft gegen Vacuum? (wie wäre das?) Statuten: I. Wir sind nicht jejen Langeweile, auch nich jejen Selbstmord oder gegen e'n sich langsam zu Tode saufen. Wir berufen uns auf Flaubert Gustav, der bekanntlich an Langeweile gestorben ist, und ebend auf Arthur Schopen (das hauer lassen wir weg — wir kürzen beide Namen amerikanisch zusammen und nennen unseren Club als Untername: The Flauschop Society, how's dat?). Join the MUCAW and the Flauschop Society - verlängert die Langeweile, laßt uns alle gemeinsam die schon existierende Langeweile (boredom) noch langweiliger verlangeweilen; wenn Mitglied (nur secret und von uns dreien gewählt), erhält Mitglied ein aus Tulasilber schön gestanztes Loch, kein Ring, ein Loch, als Symbol des Mucawclubs. Okay. Das Loch versinnbildlicht das Vacuum. Unsere Zusammenkünfte finden in einer Garage statt, die als schwarzes Loch (Vacuum) hergerichtet wird. Zwei Büsten, eine den Flau & die andere den Schop darstellend, sind hinter dem Vorstandsessel aufgestellt, zum ainnan an unsere Vorbilder. Wir trinken sogenannten schwarzen Champagna (aus Tassen, mit einem Trauerflore) oder aus schwarzen, mit Ölfarbe eigenhändig angestrichenen Seideln (Bierseideln). Die Bierseidel sind je nach Langeweile des aufzunehmenden Mitglieds viertel, halb oder ganz bis oben rauf angestrichen. Das Anstreichen dieses offiziellen Bierseidels gehört zu einer geheimen und äußerst langweiligen Zeremonie unseres Zukunftsclubs. Langweilt Dich das nicht, Rönne??? Wir sind hier drüben alle so'n bißchen vervacumosiert . . . Wir witzeln es wohl hie & da weg — aber Mucaw bleibt ... In mir ist alles Holzkohle — mit so'n bißchen Glut hie & da, glimmert so weiter . . .

äs evva George

  - George Grosz, nach: Das Tintenfaß 4. Zürich 1981

Heimweh (6)  Träume von Grünkohl, Pinkelwurst, Schweinerippchen und Salzkartoffeln, vorher eine Sternchennudelsuppe, nachher einen Steinhäger (wenn ich nur nicht dabei so dick würde, ich äße das schon einmal wieder gern, dann anschließend ein Gang durch frostiges Wintermoor mit Eis auf den tiefen Treckerspuren im Weg. Und oben die weiße Mondhelle. Dazu prima eingemummelt, Fernsehen steht im Stall. Der Hund bellt. Die Katze jagt nach Mäusen und kommt angeschnurrt. (Reibt, wie jede Katze, zuerst den Kopf am Bein, und hält dann das Hinterteil hin.) - Dafür würde ich gern ganz Rom eintauschen. - Und nachher flüstern. Lesen. Träumen. Schlafen. - Gibt es das nicht mehr? - Die Schönheit einer gelben Hundsblume.  - (rom)

Heimweh (7)   Sobald er nahe genug herangekommen ist, spuckt er sich auf die Handflächen und schleudert einen Tjurunga auf die schlafende Gestalt. Er trifft das Ungeheuer im Nacken. Der Kopf des Ungeheuers rollt davon, und die verschlungenen Männer kommen alle wieder zum Vorschein. Sie quellen hervor wie Wasser. Sofort begeben sie sich auf die umliegenden Anhöhen und schwingen ihre Schwirrhölzer vor Freude und schmücken ihre Häupter mit grünen Zweigen und Wallabyschwänzen. Der tote Körper des Ungeheuers liegt auf der Erde, doch sein abgeschlagenes Haupt ist noch immer am Leben. Das Haupt denkt: »Mein Heim ist nicht fern von hier. Ich will dorthin zurückkehren zu meiner letzten Ruhe.« Und so rollte sich das Haupt unter der Erde, bis es schließlich in einem kleinen Wasserlauf bei Ankota wieder auftauchte. Und dort blieb es und ging für immer in die Erde ein. - Märchen aus Australien. Traumzeitmythen der Aborigines. Hg. Anneliese Löffler. München 1992

Heimweh (8) Tissaphernes', des persischen Satrapen, Zuneigung und Bewunderung für Alkibiades war so offenkundig, daß die Griechen von beiden Seiten her ihre Blicke auf ihn richteten und die Athener ihre gegen ihn gefaßten Beschlüsse bereuten, da es ihnen nun so schlecht ging. Aber auch er fühlte sich bereits bedrückt und fürchtete, daß, wenn die Stadt ganz vernichtet würde, er völlig in der Hand der Lakedaimonier sein würde, die ihn haßten.  

Fast die ganze Macht der Athener war damals in Samos versammelt, und von diesem Stützpunkt aus suchten sie mit ihrer Seemacht teils die abgefallenen Gemeinden wiederzugewinnen, teils, was sie noch besaßen, zu halten, da sie zur See den Feinden noch so ziemlich gewachsen waren. Aber sie fürchteten Tissapherncs und die phoinikischcn Trieren - hundertfünfzig an der Zahl -, von denen es hieß, daß sie jeden Augenblick erscheinen müßten, und wenn die da wären, dann blieb der Stadt keine Hoffnung mehr auf Rettung. Das wußte Alkibiades. Er schickte daher heimlich zu den Vornehmen unter den Athenern in Samos und machte ihnen Hoffnung, er würde dafür sorgen, daß Tissaphernes ihnen Freund würde, doch nicht dem Volke zu Gefallen und im Vertrauen auf dieses, sondern auf die Aristokraten, wenn sie den Mut hätten, sich zu ermannen, der Zügellosigkeit des Volkes Schranken zu setzen und aus eigener Kraft den Staat und seinen Bestand zu retten. Auf diese Vorschläge des Alkibiades waren alle anderen einzugehen freudig bereit, nur einer von den Strategen, Phrynichos der Deiradiote, der den Argwohn hegte - womit er recht hatte -, daß es Alkibiades ebensowenig auf Oligarchie wie auf Demokratie abgesehen habe, sondern in dem einzigen Bestreben, unter allen Umständen heimkehren zu können, zuerst durch Gehässigkeiten gegen das Volk die Mächtigen umschmeicheln und für sich gewinnen wolle, sprach sich dagegen aus. Da er aber überstimmt wurde und nun so zum offenen Feinde des Alkibiades geworden war, schickte er eine heimliche Botschaft an den feindlichen Admiral Astyochos und forderte ihn auf, sich in acht zu nehmen und Alkibiades als einen Mann, der auf beiden Schultern trüge, festzunehmen. Aber da verhandelte ein Verräter, ohne es zu wissen, mit einem ändern Verräter. Denn Astyochos, der ganz im Banne des Tissaphernes war und sah, daß Alkibiades hoch in seiner Gunst stand, meldete ihnen, was er von Phrynichos gehört hatte. Darauf sandte Alkibiades sofort Leute nach Samos, um Klage gegen Phrynichos zu erheben, und dieser, da alle sich entrüsteten und einmütig gegen ihn Stellung nahmen, sah keinen andern Ausweg aus seiner Bedrängnis, als daß er das Übel durch ein noch größeres Übel zu heilen versuchte. Er sandte nämlich abermals zu Astyochos und machte ihm Vorwürfe wegen seines Verrates, versprach aber, die Schiffe und das ganze Heerlager der Athener ihm in die Hand zu liefern. Allein der Verrat des Phrynichos brachte den Athenern keinen Schaden, weil Astyochos wiederum Verrat übte. Denn er gab auch diese Botschaft des Phrynichos an Alkibiades weiter. Da Phrynichos davon früh Kenntnis erhielt und nun eine neue Anklage von seiten des Alkibiades gewärtigte, so kündigte er vorgreifend den Athenern an, daß die Feinde einen Angriff beabsichtigten, und mahnte sie, bei den Schiffen auf der Hut zu sein und das Lager zu befestigen. Als jetzt, während die Athener damit beschäftigt waren, ein Schreiben von Alkibiades kam mit der Warnung, sie sollten sich vor Phrynichos hüten, der das Schiffslager an die Feinde verraten wolle, glaubten sie ihm nicht, sondern meinten, Alkibiades, der über die Rüstungen und die Absichten der Feinde genau Bescheid wisse, benütze dieses Wissen nur, um Phrynichos wahrheitswidrig zu verleumden. Als aber später Hermon, einer der jungen Grenzwächter, den Phrynichos auf dem Markte durch einen Dolchstich tötete, verurteilten die Athener in dem nun stattfindenden Prozeß den toten Phrynichos wegen Verrates und verliehen Hermon und seinen Mitverschworenen Ehrenkränze.

26. In Samos hatten nun die Freunde des Alkibiades die Oberhand und schickten Peisandros nach Athen, um einen Staatsstreich vorzubereiten und die Aristokraten zu ermuntern, die Macht an sich zu reißen und die Demokratie zu stürzen ; denn unter dieser Bedingung würde Alkibiades ihnen den Tissaphcrnes als Freund und Bundesgenossen zuführen. Das war nämlich der Vorwand und das Aushängeschild der Männer, die die Oligarchie einführen wollten. Als sie aber (die angeblichen Fünftausend, tatsächlich Vierhundert)' den Sieg gewonnen und die Regierung übernommen hatten, kümmerten sie sich sofort sehr wenig um Alkibiades und betrieben den Krieg sehr lässig, teils aus Mißtrauen gegen die Bürger, die der neuen Verfassung ablehnend gegenüberstanden, teils in dem Glauben, die Lakedaimonier, die stets mit den Oligarchien zu sympathisieren pflegten, würden sich weniger feindlich zu ihnen stellen. Nun hielt das Volk in der Stadt, zwar sehr wider Willen, aber aus Furcht, zunächst Ruhe; denn nicht wenige von denen, die sich den Vierhundert offen widersetzten, waren hingeschlachtet worden. Aber das Heer in Samos war auf die Nachricht von dem Geschehenen aufs äußerste empört und entschlossen, sofort gegen den Piräus zu fahren. Es rief Alkibiades herbei, ernannte ihn zum Feldherrn und forderte ihn auf, sie zu führen und die Tyrannen zu stürzen.

Aber er handelte nicht, wie es mancher andere wohl getan hätte, der plötzlich durch die Gunst der Menge hochgekommen war, und fügte sich nicht in dem Glauben, daß er in allem gehorsam sein und in nichts denen widersprechen dürfe, die ihn soeben aus einem von Land zu Land getriebenen Flüchtling zum Feldherrn und Gebieter über so viele Schiffe und eine so gewaltige Heeresmacht erKoben hatten, sondern wie es einem wirklich großen Führer geziemte, den von ihrer Leidenschaft Fortgerissenen sich entgegenzustemmen, so hinderte er sie, einen schweren Fehler zu begehen, und wurde damals jedenfalls augenscheinlich der Stadt zum Retter. Denn hätten sie damals die Anker gelichtet und wären nach Haus gefahren, so hätten die Feinde sich sofort ohne Schwertstreich ganz loniens, des Hellespontos und der Inseln bemächtigen können, und die Athener hätten gegen Athener kämpfen müssen und den Krieg in die eigene Stadt getragen. - (plut)

Heimweh (9) Michel Tournier bringt eine Geschichte vor, die von schreiender Wahrheit sei. Sie erzählt von einer 1938 aus Wien geflohenen Jüdin, die nach der Niederwerfung Hitlers aus Heimweh immer wieder %u kurzen Pilgerfahrten aus Paris nach Wien zurückkam. Nach einer dieser Reisen hatte sie österreichische Geldnoten in der Tasche behalten, eine davon mit dem Bild Sigmund Freuds, und darunter hatte einer geschrieben: Saujud. Tournier erzählt weiter: Ihr Blut geriet in Wallung, Sie setzte sich an den Tisch und schüttete ihr Herz in einem sechsseitigen Brief aus, den sie mit einer Fotokopie der Banknote an den Bundespräsidenten Waldheim schickte. Es verging Zeit, und es kam eine Antwort, vom Sekretariat des Bundespräsidialamtes, in drei Zeilen: Man hat die Ehre, sie davon zu unterrichten, daß sie täglich während der Öffnungszeiten zwischen neun und zwölf Uhr am Schalter 15 der Nationalbank in Wien vorsprechen könne; man werde ihr den Schein dort wechseln.  

Sehnsucht
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