eimsuchung  Zuerst regnet es Staub und unaussprechliche Substantive, bis alles Leben verdorrt ist. Aus den Leitungshähnen dagegen quillt parfümierter Rasierschaum. Spalten tun sich auf, aus denen Marschmusik dringt, Zitherspiel, Jodeln und Predigen. Schlagersänger mit aufgerissenem Rachen, geweissagt in der Offenbarung Johannis, schleichen ums Haus, in dessen Konstruktion der Wurm sich mit Termiten verbündet hat, er genießt, was sie zernagen, dröhnend fällt die Decke herab, verfehlt, Hiobs Qual zu steigern, sein Weib; die Wände brechen nach außen weg, so daß nichts mehr vor äußerer äußerster Unbill schützt.

Hiob fleht, aber sein Wagen springt nicht an: alle transzendente Energie ist aus der Batterie entwichen. Wie verlassen bin ich, ruft Hiob, da aus dem Swimming-Pool im Garten der Leviathan steigt, schauerlich lächelnd wie ein tüchtiger Beamter, blekend, prustend, in Marschalluniform, goldlit-zig über und über, den Marschallstab in der Hand ihn in Hiobs Tornister zu stecken. Wind erhebt sich, Sturm, und fegt Zeitungen her, sie klatschen in des Heimgesuchten Gesicht: Friedensverhandlung da, Friedensverhandlung dort, Sturmangriff, Bajonettgefecht, und meine Tage sind schneller gewesen denn ein Läufer; sie sind geflohen und haben nichts Gutes erlebt. Nun: Klagen solcher Art kennt die Gegend zur Genüge, das hält die Heuschrecken nicht auf, die in Autobussen vorfahren, vorm Bauch die Kamera, Hiob in seinem glänzenden Elend zu knipsen. Schließlich: er leidet ja, das sieht man deutlich: an Schuppen, Haarausfall, Impotenz, Rauchergangrän und Platzangst, da er bangen muß, selbst den letzten Platz, auf den er gelangte, noch zu verlieren: besser heimgesucht als abgebucht. - Günter Kunert, nach: Deutsche Parabeln. Hg. Josef Billen. Stuttgart 2001 (Reclam 7761)

Heimsuchung (2)  Es geht wieder um — vom Herzen zum Bauch, von links nach rechts, von dem beklommenen Druck auf der Brust atmet es mühsam bis ins Gehirn. Der Verstand sagt kein Wort — trotzdem versucht er mir einzureden, dass ich mich irre — dass ich mich schämen sollte, mich so verwirren zu lassen, von Einbildungen, von nichts als Einbildungen. Es sind keine Ahnungen. Vielleicht bin ich nahe daran, es zu überwinden. Mein Wesen, dass sich seit allen Zeiten schon so gerne von seinem lästigen Körper löst, kehrt ein wenig zu mir, zu meinen Beinen, Kopf und Händen zurück. Aber ich lasse es mir nicht einreden, dass das nicht wahr ist, was ich Heimsuchung nenne. Ich werde heimgesucht, als wäre ich für etwas Unbekanntes die einzige Heimat. Es ist eine „Anwesenheit" um mich —  - Unica Zürn, Notizen einer Blutarmen. In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin 1988

Heimsuchung (3)   Sie will auch nicht allein schlafen, wie es scheint, sondern man muß mit ihr zu Bett gehen, damit, wie sie sagt, im Umgang mit eben diesen Kerzen Sparsamkeit geübt werde, sind sie doch übermäßig teuer, sie kommen auf zwei und Sixpence, und, wie sie sagt, aus den Augen, aus dem Sinn. Wo sollen sie aber nun sein, um aus den Augen, und wo untergebracht, um aus dem Sinn zu sein? Das geht über meinen Verstand. So muß man also mit ihr zu Bett gehen, und manch eine Nacht würgt sie einen nur mit Ängsten und Qualen und braucht viele beruhigende Versicherungen: daß kein Gemordeter noch Papist, kein Laufbursche noch Bettelbruder in der Nähe sei und ihr auflauere, mit dem Ersuchen, sie eiligst auf grausamste Weise fortzuschaffen, gebe es doch (wie sie ganz richtig ausführt) viele Zwecke und Wege der Religion, so daß ihre Lichter vielleicht zu tief in die Sache hineinreichen. Ich aber wette mit Dir, ich werde nie so besorgt ums Ende meiner Seele sein, daß ich meine nächtliche Freiheit verpfände; mein eigenes Bett will ich haben und also ein abseits gelegenes Zimmer, um mich schlafen zu legen, was auch immer es für ein Haus sein mag, in das ich mich notgedrungen verdinge, und keinesfalls will ich bei der Alten liegen oder einen Badestuhl ausleeren, mag er noch so raffiniert einem eleganten Einsitzer ähneln, denn ich bin weder Pferd noch Charpie, weder Krücke noch Schwamm; und wo all dies Ungemach herkommt, wenn es nicht eine ungewöhnliche Heimsuchung in dieser unserer Generation für ihre Sünden und ihren Unglauben ist, das weiß ich nicht, aber Du hast mein Wort dafür, es gibt so viele schreckliche Weiber, so häßlich gepaart, so viele Krüppel und Verrenkte in unserer schönen Stadt, daß Du sie nicht als das gesunde und kecke Weibsstück wiedererkennen würdest, das sie zu unserer Zeit war, als es nicht einmal Radieschen in den Ohren oder rote Bohnen in der Nase gab noch irgendeine Krankheit wie Kropf und Hüftrheuma, Zweiwuchs oder Darmbruch, ganz zu schweigen von den galoppierenden Anfällen, die einen so gänzlich aus der Fassung bringen. Aber obwohl ich schon an vier Dutzend und zwei heranreiche, werde ich mich in keinen Wohnsitz begeben, sei's in der Bond-Street oder in Chelsea, der als Herrn oder Herrin ein Geschöpf hat, das seinen oder ihren Wind nicht wie ein Gentleman oder eine Dame halten kann, sondern dich notwendigerweise wie einen Federball die Korridore hin- und herbläst.  - (ryder)

Heimsuchung (4)  Eine Viertelstunde lang rennen sie brüllend in der schäbigen Hotelsuite herum, taumeln in wirren Kreisen, werfen sich in die Diagonalen des Zimmers. Laszlo Jamfs berühmtes Molekül enthält eine Besonderheit, die sogenannte «Pökler-Singularität», die sich in einem verkrüppelten Indolring lokalisieren läßt und von den neueren Oneirinisten, akademischen Forschern wie praktischen Anwendern, übereinstimmend für die Halluzinationen verantwortlich gemacht wird, die dieser Droge eigentümlich sind. Sie beschränken sich nicht auf den audiovisuellen Bereich, sondern erfassen alle Sinne gleichermaßen. Und sie wiederholen sich. Bestimmte Motive, «mantische Archetypen» (wie Jollyfox von der Cambridger Schule sie genannt hat), treten bei bestimmten Individuen immer wieder auf und legen dabei eine Konsistenz an den Tag, die auch unter Laborbedingungen demonstriert werden konnte (vgl. Wobb und Whoaton, «Mantic Archetype Distribution Among Middle-Class University Students», Journ. Oneir. Psy. Pharm., XXIII, 406-453). Da gewisse Analogien zu Geistererscheinungen bestehen, wird dieses Wiederholungsphänomen im einschlägigen Jargon als «Heimsuchung» bezeichnet. Während andere Typen von Halluzinationen dazu neigen, wie ein Strom von dunklen Assoziationen vorüberzuziehen, deren Beziehungen untereinander dem normalen Drogenbenutzer verborgen bleiben, zeichnen sich die Oneirin-Heimsuchungen durch eine narrative Kontinuität aus, die so klar verfolgbar ist wie, sagen wir, ein durchschnittlicher Reader's-Digest- Artikel. Oft sind sie so banal und konventionell - in der Tat nennt sie Jeaach die «langweiligsten Halluzinationen, die in der Psychopharmakologie bekannt sind» -, daß sie als Heimsuchungen erst auf Grund einer radikalen, wenn auch plausiblen Vergewaltigung der Wahrscheinlichkeit erkennbar werden: durch die Anwesenheit von Toten, das Phänomen von Reisen über gleiche Strecken mit gleichen Mitteln, bei welchen eine später aufgebrochene Person als erste ankommt, das Auftauchen eines Diagramms, das auch bei beliebig großer Helligkeit nicht lesbar wird ... Sobald dem Oneirin-Benutzer bewußt wird, daß er sich in einer Heimsuchung befindet, tritt er unmittelbar in die «Phase zwei» ein, die, wenn auch von Individuum zu Individuum mit unterschiedlicher Intensität, immer als unangenehm empfunden wird: Häufig wird eine medikamentöse Ruhigstellung (0,6 mg Atropin subkut.) angezeigt sein, obwohl schon das Oneirin selbst nach seiner chemischen Klassifizierung als ZNS-Sedativum gelten muß.

Von der Paranoia, die unter Einwirkung der Droge häufig zu beobachten ist, läßt sich nichts Bemerkenswertes sagen. Wie bei anderen Arten von Paranoia handelt es sich auch hier um nicht weniger als den Auftakt, den ersten Schritt zu der Entdeckung, daß alles miteinander verknüpft ist, alles in der Schöpfung, eine sekundäre Erleuchtung - noch nicht blendend Eins, aber zumindest verknüpft, und so vielleicht ein Weg nach Innen für alle jene, die am äußeren Rand festgehalten werden ...  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

Strafe

 

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