H  aut, empfindliche  Ich wurde die Treppe hinauf in das Zimmer des Bejs geführt — oder vielmehr in sein Schlafzimmer. Er war ein großer, klobiger Mensch, vielleicht selbst Tscherkesse; er saß im Schlafrock auf dem Bett, zitternd und schwitzend, wie im Fieber. Als ich hineingeschoben wurde, hielt er den Kopf gesenkt; er winkte meinen Begleitern, hinauszugehen. Dann hieß er mich mit kurzatmiger Stimme auf dem Boden ihm gegenüber Platz nehmen und verstummte darauf; ich blickte indessen seinen großen Kopf an, dessen borstiges Haar nicht länger war als die schwarzen Stoppeln auf Wangen und Kinn. Schließlich musterte er mich, befahl mir aufzustehen und mich umzudrehen. Ich gehorchte. Er warf sich auf das Bett und zog mich mit sich in seine Arme. Als ich merkte, was er wollte, wand ich mich von ihm los und sprang wieder auf, froh, daß ich ihm im Ringen auf jeden Fall gewachsen war.

Er begann mir zu schmeicheln und sagte, wie zart und jung kh wäre, wie'schön meine Hände und Füße seien und daß er mich von Drill und Dienst befreien, mich zu seinem Burschen machen und mit sogar Lohn zahlen werde, wenn ich nur nett zu ihm wäre.

Aber ich blieb verstockt; so änderte er seinen Ton und befahl mir barsch, die Hosen herunterzuziehen. Als ich es nicht sofort tat, griff er nach mir; ich stieß ihn zurück. Er klatschte in die Hände, woraufhin der Posten hereinstürzte und mich festhielt. Der Bej beschimpfte mich und stieß schreckliche Drohungen aus; dann mußte der Mann, der mich hielt, mir Stuck um Stück die Kleider herunterreißen. Seine Augen wurden groß und rund, als er die halbgeheilten Stellen von den vor kurzem erhaltenen Schüssen auf meinem Fleisch sah, Dann stand er schwerfällig auf, ein Glitzern kam in seine Augen, und er begann mich abzutasten. Ich ertrug es eine Weile, aber als er zu viehisch wurde, stieß ich ihm meinKnie in den Leib.

Er taumelte auf das Bett zurück, krümmte sich und stöhnte vor Schmerz, während der Soldat nach dem Korporal und den anderen drei Leuten rief, die mich an Händen und Füßen packen mußten. Sobald ich wehrlos war, gewann der Kommandant wieder Mut, spie mich an und schwor, er würde mich noch dahin bringen, daß ich ihn um Verzeihung bäte. Er zog seinen Pantoffel aus und schlug mich damit wiederholt ins Gesicht; der Korporal mußte meinen Kopf an den Haaren zurückziehen, damit mich die Schläge auch richtig trafen. Dann beugte der Bej sich über mich, schlug seine Zähne in meinen Hals und biß, bis das Blut kam. Darauf küßte er mich. Dann ließ er sich von einem der Leute ein Bajonett geben. Ich glaubte, daß er mich töten wollte, und wurde sehr traurig. Aber er zog nur ein Stück Fleisch von den Rippen ab, bohrte mit beträchtlicher Anstrengung die Spitze des Bajonetts hindurch und drehte es in der Wunde halb um. Ich krümmte mich vor Schmerz, während das Blut mir in Strömen an der Seite herabrann und vorn über den Schenkel tropfte. Der Bej schaute befriedigt drein, tauchte seine Fingerspitzen in mein Blut und besudelte damit meinen Leib.

In meiner Verzweiflung fing ich an zu reden. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, und er rührte sich nicht; dann, seine Stimme mühsam beherrschend, sagte er bedeutungsvoll: „Du mußt verstehen, daß ich Bescheid weiß; es wird einfacher sein, w«nn du tust, was ich will." Ich war wie vor den Kopf geschlagsnj schweigend starrten wir einander an, während die Soldaffen, die merkten, daß hier etwas vorging, das sie nicht begriffen, unbehaglich von einem Fuß auf den ändern traten. Aber offenbar war es nur ein Zufallsschuß und er hatte nicht gemeint oder meinen wollen, was ich befürchtete. Ich konnte mich nicht auf meinen zuckenden Mund verlassen, da ich in der Bedrängnis leicht ins Stammeln kam; deshalb warf ich kurz den Kopf zurück — im Orient das Zeichen für „Nein"; darauf setzte er sich hin und befahl halblaut dem Korporal, mich hinauszuschaffen und mir das Nötige beizubringen.

Man stieß mich knuffend auf den Flur hinaus und legte mich auf eine Bank bei der Treppe. Zwei Mann knieten sich auf meine Knöchel und hielten mir die Beine fest, während zwei andere mir die Handgelenke umdrehten, bis sie krachten, und dann die Handgelenke und den Hals gegen das Holz der Bank preßten. Der Korporal war die Treppe hinuntergerannt; jetzt kam er mit einer Tscherkessenpeitsche zurück, ein Strang aus geschmeidiger, schwarzer Lederhaut, sich verjüngend von dem etwa daumendicken, silberbeschlagenen Griff bis zu einer harten, etwa bleistiftstarken Spitze.

Als der Korporal mich erschauern sah (was meiner Ansicht nach teils von der Kälte kam), ließ er mir die Peitsche um die Ohren pfeifen und rief höhnisch, ich würde noch vor dem zehnten Schlag um Gnade heulen und beim zwanzigsten um die Zärtlichkeiten des Bejs betteln; und dann begann er wie verrückt kreuz und quer aus aller Kraft auf mich loszupeitschen. Ich biß die Zähne zusammen, um das zu ertragen, was wie ein glühender Draht über meinen Körper leckte.

Um mich in der Gewalt zu behalten, zählte ich die Schläge, aber nach dem zwanzigsten konnte ich nicht mehr weiterzählen. Ich fühlte nur noch den Druck eines ungeheuren, aber nicht bestimmbaren Schmerzes; es war nicht, als ob scharfe Klauen mir die Haut aufrissen (worauf ich gefaßt gewesen war), sondern wie ein allmähliches Auseinanderbersten meines ganzen Ichs durch eine übermächtige Kraft, deren Wogen mein Rückgrat hinaufwallten, bis mein Hirn sie ais-, einen furchtbaren Zusammenprall wahrnahm. Irgendwo, .ia^sHaüse tickte laut eine billige Uhr; es störte mich, daß iefaßhlcht im Rhythmus des Tickens geschlagen wurde. Ich wand und drehte mich, wurde aber so fest gehalten, daß meine Anstrengungen zwecklos waren. Nachdem der Korporal aufgehört hatte, begannen die Soldaten sehr bedachtsam der Reihe nach mir die gleiche Anzahl Schläge zu geben. Dazwischen trat immer eine Pause ein, während der sie miteinander stritten, wer als nächster drankommen sollte, um ohne jeden Zwang auf unsagbare Art ihr Wesen mit mir zu treiben. Das wiederholte sich entsprechend oft und mochte etwa zehn Minuten dauern. Immer beim Beginn einer neuen Serie von Schlägen wurde mir der Kopf so gedreht, daß ich sehen konnte, wie eine harte, weiße Spur, gleich einem Bahngleis, die sich langsam rot färbte, bei jedem Schlage auf meiner Haut aufsprang; immer wo 2wei Spuren sich kreuzten, entstand eine Blutblase. Je länger die Prozedur dauerte, desto mehr alte Striemen traf die Peitsche, und dort, wo sie getroffen hatte, wurde die Haut dunkler und feuchter, bis mein Fleisch von dem rasenden Schmerz und dem Entsetzen vor dem nächsten Schlag zitterte. Das besiegte bald meinen Entschluß, nicht zu schreien, aber da mein Wille meine Lippen noch beherrschte, schrie ich nur auf arabisch, und später beendete eine Ohnmacht mein Herausgestoße.

Als ich schließlich vollkommen erledigt war, schienen sie befriedigt. Ich fand mich neben der Bank rücklings auf dem schmutzigen Fußboden liegend, kraftlos hingestreckt, nach Atem ringend, und doch auf unbestimmte Art gestärkt. Ich hatte mich gezwungen, allen Schmerz bis in den Tod hinein kennenzulernen und, nicht mehr als Mitspieler, sondern als Zuschauer, mir vorgenommen, nicht darauf zu achten, wie mein Körper sich aufbäumte und jammerte. Bei alledem wußte ich aber oder stellte mir vor, was um mich her vorging.

Ich erinnere mich, daß der Korporal mit seinen Nagelschuhen nach mir stieß, damit ich aufstand; das mußte summen, denn am nächsten Tag war meine rechte Seite blutunterlaufen und zerschunden, eine Rippe verletzt und jeder Atemzug ein stechender Schmerz. Ich erinnere mich, daß ich ihn träge anlächelte, denn eine köstliche Wärme, wahrscheinlich sexuell, durchflutete mich; und dann, daß er seinen Arm hob und mir mit der ganzen Länge der Peitsche über die Scham schlug. Das warf mich um; ich schrie oder versuchte vielmehr vergeblich zu schreien; denn nur ein Gurgeln kam aus meinem Munde. Jemand kicherte belustigt. Einer rief: „Pfui Teufel, du hast ihn getötet!" Dann folgte ein zweiter Hieb. Ein Brausen, und mir wurde schwarz vor den Augen. Das Lebensmark schien mir langsam aus den zerreißenden Nerven auszulaufen, durch diese letzte, unbeschreibliche Pein endgültig aus dem Körper herausgetrieben.

Vielleicht haben sie mich noch weiter gequält. Als nächstes entsinne ich mich, daß zwei mich umherzerrten, jeder hatte ein Bein erfaßt und zog daran, als wollten sie mich mitten durchreißen, während ein dritter rittlings auf mir saß. Das war im Augenblick noch besser als die Schläge. Dann rief Nahi. Die Soldaten spritzten mir Wasser ins Gesicht, wuschen mir etwas den Schmutz ab, hoben mich auf und schleppten mich herein, während ich mich erbrach und um Gnade schluchzte nach dem Bett hin, wo der Bej lag. Aber jetzt verschmähte er mich, denn ein so zerfetztes und blutiges Etwas war für sein Bett nicht zu gebrauchen, und er beschimpfte die Soldaten wegen ihres übergroßen Eifers, mich so zugerichtet zu haben; aber zweifellos hatten sie mir nur das Übliche verabfolgt, und der Fehler lag mehr an meiner empfindlichen Haut, die weit eher nachgab als die eines Arabers.
So mußte der niedergeschlagene Korporal, der Jüngste und Bestaussehende der Wache, bei dem Bej bleiben, während die ändern mich die enge Treppe hinunter auf die Straße trugen. Die Kühle der Nacht auf meinem brennenden Fleisch und das unbewegte Schimmern der Sterne nach dem Entsetzen der letzten Stunde machten, daß ich von neuem zu schreien begann. Die Soldaten, die nun ungehindert sprechen konnten, belehrten mich, daß die Mannschaften die Lüste ihrer Offiziere leiden oder aber, so wie ich eben, mit noch größeren Leiden dafür bezahlen müßten.  - T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit. München 1979 (dtv 1456, zuerst 1922)

 

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