ausherr    »Sie müssen einen Bärenhunger haben. Auch ich bin hungrig. Fangen wir also mit dem Essen an.«

Sie setzten sich beide zu Tisch. Und nach dem Essen legten sie sich wieder auf das schöne Ruhebett. Dort lagen sie noch beisammen, als Don Issaschar, der eine der beiden Hausherren, anlangte. Es war nämlich gerade Sabbat, und er kam, um seine Rechte geltend zu machen und seine zärtliche Liebe zu erklären.

Dieser Issaschar war der zornwütigste Hebräer, den es in ganz Israel seit der Babylonischen Gefangenschaft je gegeben hat.

»Was!« schrie er, »du geile galiläische Hündin! Du hast also noch nicht genug am Großinquisitor? Dieser Schelm da soll auch noch mit mir teilen?« Und während er das sagte, zückte er ein langes Dolchmesser, das er immer bei sich trug, und da er nicht annehmen konnte, daß sein Gegner ebenfalls bewaffnet war, stürzte er sich auf Candide. Aber unser wackerer Westfale hatte von der Alten zugleich mit dem Kleid auch einen trefflichen Degen bekommen. Diesen Degen zog er nun, obschon er sonst einen recht verträglichen Charakter hatte, und streckte den Israeliten mausetot auf die Fliesen nieder, der schönen Kunigunde zu Füßen.

»Heilige Mutter Gottes!« schrie sie gellend auf. »Was soll nun aus uns werden? Ein Toter, ein Gemordeter in meinem Haus! Wenn die Justiz kommt, sind wir verloren!« - »Wäre Pangloß nicht gehenkt«, meinte Candide, »so könnte er uns in unserer verzweifelten Lage einen guten Rat geben, denn er war ein großer Philosoph. Da er nun aber nicht da ist, fragen wir die Alte um Rat!« Die war recht besorgt und vorsichtig und wollte gerade ihre Meinung äußern, da ging eine andere kleine Tür auf. Es war eine Stunde nach Mitternacht, und der Sonntag war angebrochen. Dieser Tag gehörte dem hochwürdigen Herrn Großinquisitor. Er trat herein und erblickte den gestäupten Candide mit einem Degen in der Hand, sah einen Toten auf dem Boden liegen, Kunigunde in Jammer und Verzweiflung, und daneben stand die Alte, die eben mit ihren Ratschlägen herausrückte.

In Candides Seele aber leuchtete in diesem Augenblick blitzschnell eine Erkenntnis auf. Er überlegte: Wenn dieser Gottesmann um Hilfe ruft, läßt er mich unweigerlich verbrennen. Das gleiche kann er auch mit Kunigunde tun. Er hat mich erbarmungslos stäupen lassen, und überdies ist er mein Nebenbuhler. Da ich nun schon einmal im Zug und am Umbringen bin, gibt es kein Zögern mehr. Diese Überlegung war rasch, klipp und klar. Ohne dem Großinquisitor Zeit zu gönnen, sich von seiner Verblüffung zu erholen, stieß er ihm den Degen bis ans Heft in den Bauch und streckte ihn neben dem Juden zu Boden.

 »Immer besser!« schrie Kunigunde auf. »Jetzt gibt's keine Rettung mehr. Wir sind in Acht und Bann, unsere letzte Stunde ist gekommen! Wie haben Sie das nur tun können? Wie konnten Sie, bei Ihrer angebornen Sanftmut, binnen zwei Minuten einen Juden und auch noch einen Prälaten ins Jenseits befördern?«

»Mein schönes Fräulein«, gab Candide zur Antwort, »wenn man verliebt und dazu eifersüchtig ist und erst noch von der Inquisition mit Ruten gestrichen wurde, dann kennt man sich nicht mehr.« - Voltaire, Candide oder Der Glaube an die beste der Welten, nach (vol2)

Hausherr (2)   Diesen Hausherrn mödite ich beschreiben. Wenn er neben mir steht, ist er etwas größer, auf die Entfernung nimmt auch er ab. Wenn er im Sommer neben dem Haus bei den Büschen steht, sieht man ihn kaum. Dafür ist er, wenn er vor dem Haus steht, gut zu sehen. Weit von seinem Haus entfernt, d. h. so weit, daß man beide nicht zusammen sehen könnte, habe ich ihn noch nicht gesehen. Wenn wir spazieren fahren, sitzt er neben mir, und der Größenunterschied verschwindet. Vor dem offenen Fenster sehe ich dann, wenn ich will, immer zumindest die Nase des Hausherrn, und draußen, entfernt, das Haus, oder einen Teil des Hauses, also wieder beide zugleich. Ob der Hausherr es darauf angelegt hat, nur in Verbindung mit dem Haus gesehen zu werden, ob er es absichtlich so einrichtet, daß zwischen Gast, also mir, und Haus er steht, weiß ich nicht, jedenfalls ist eine Beschreibung des Hausherrn ohne eine gleichzeitige Beschreibung des Hauses nicht möglich. Jetzt eben denke ich an das Gesicht des Hausherrn, lang, schon sehe ich neben ihm die Holzveranda mit den weißen Säulchen. Es schneit, da steht auch der Hausherr, ebenfalls weiß, und winkt durch die Flocken.   - Reinhard Lettau, In der Umgebung. In: R. L., Feinde. München 1968
 
 

Haus Herr

 

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