Daus, hellhöriges  Bienal fuhr einen zerschrammten Renault; er lenkte ihn,  wie ein Samojede seine Schlittenhunde lenkt. Sonntags fuhren wir mit dem hoppelnden Vehikel die hundertzwanzig Kilometer nach Rouen, um Ente zu essen, die dort in ihrem eigenen Blut gebraten wird. Mit uns fuhr Germaine, Hand-schuhverkäuferin in einem Laden an der Rue Royale. Bienal und sie hatten mittwochs und sonntags ihren Tag. Sie kam immer um fünf. Einen Augenblick später ertönte in ihrem Zimmer Gurren, das Aufschlagen fallender Leiber, ein Schreckensruf, und dann begann die zärtliche Agonie der Frau: »Oh, Jean . . .«

Ich rechnete im Stillen mit: Nun ist Germaine eingetreten, hat die Tür hinter sich zugemacht, sie haben sich geküßt, das Mädchen hat Hut und Handschuhe auf den Tisch gelegt, zu mehr durfte nach meiner Rerechnung die Zeit nicht gereicht haben. Nicht dazu jeden falls, sich auszuziehen. Sie sprachen kein Wort, sie sprangen in den Laken umher wie die Hasen. Hatten sie sich ausgestöhnt, dann lachten sie sich halbtot und schwatzten über ihren Privatkram. Ich wußte von ihnen alles, was ein Zimmernachbar hinter einer Bretterwand wissen kann. Germaine hatte Unstimmigkeiten mit Monsieur Henriche, ihrem Prinzipal. Ihre Eltern wohnten in Tours, und sie besuchte sie bisweilen. Eines Samstags hatte sie sich eine Pelzboa gekauft, an einem anderen Samstag hatte sie in der Grande Opéra »La Rohème« gehört. Monsieur Henriche ließ seine Verkäuferinnen enganliegende Tailormades tragen. Monsieur Henriche hatte Germaine anglisiert, sie war nun der Typus sachliche Frau, flachbrüstig, betriebsam, das ondulierte Haar knallig rot gefärbt, doch ihre wohlgeformten Fesseln, ihr tiefes, stoßweises Lachen, der aufmerksame Blick ihrer glänzenden Augen und das Stöhnen der Agonie — oh, JeanI —, das alles blieb Rienal vorbehalten.  - (babel)

Haus, hellhöriges (2)  Mein Geschäft ruht ganz auf meinen Schultern. Zwei Fräulein mit Schreibmaschinen und Geschäftsbüchern im Vorzimmer, mein Zimmer mit Schreibtisch, Kasse, Beratungstisch, Klubsesse! und Telephon, das ist mein ganzer Arbeitsapparat. So einfach zu überblicken, so leicht zu führen. Ich bin ganz jung und die Geschäfte rollen vor mir her. Ich klage nicht, ich klage nicht. Seit Neujahr hat ein junger Mann die kleine, leerstehende Nebenwohnung, die ich ungeschickterweise so lange zu mieten gezögert habe, frischweg gemietet. Auch ein Zimmer mit Vorzimmer, außerdem aber noch eine Küche. - Zimmer und Vorzimmer hätte ich wohl brauchen können - meine zwei Fräulein fühlten sich schon manchmal überlastet-, aber wozu hätte mir die Küche gedient? Dieses kleinliche Bedenken war daran schuld, daß ich mir die Wohnung habe nehmen lassen. Nun sitzt dort dieser junge Mann. Harras heißt er. Was er dort eigentlich macht, weiß ich nicht. Auf der Tür steht: >Harras, Bureau<. Ich habe Erkundigungen eingezogen, man hat mir mitgeteilt, es sei ein Geschäft ähnlich dem meinigen. Vor Kreditgewährung könne man nicht geradezu warnen, denn es handle sich doch um einen jungen, aufstrebenden Mann, dessen Sache vielleicht Zukunft habe, doch könne man zum Kredit nicht geradezu raten, denn gegenwärtig sei allem Anschein nach kein Vermögen vorhanden. Die übliche Auskunft, die man gibt, wenn man nichts weiß.

Manchmal treffe ich Harras auf der Treppe, er muß es immer außerordentlich eilig haben, er huscht förmlich an mir vorüber. Genau gesehen habe ich ihn noch gar nicht, den Büroschlüssel hat er schon vorbereitet in der Hand. Im Augenblick hat er die Tür geöffnet. Wie der Schwanz einer Ratte ist er hineingeglitten und ich stehe wieder vorder Tafel >Harras, Bureau<, die ich schon viel öfter gelesen habe, als sie es verdient.

Die elend dünnen Wände, die den ehrlich tätigen Mann verraten, den Unehrlichen aber decken. Mein Telephon ist an der Zimmerwand angebracht, die mich von meinem Nachbar trennt. Doch hebe ich das bloß als besonders ironische Tatsache hervor. Selbst wenn es ander entgegengesetzten Wand hinge, würde man in der Nebenwohnung alles hören. Ich habe mir abgewöhnt, den Namen der Kunden beim Telephon zu nennen. Aber es gehört natürlich nicht viel Schlauheit dazu, aus charakteristischen, aber unvermeidlichen Wendungen des Gesprächs die Namen zu erraten. - Manchmal um-tanze ich, die Hörmuschel am Ohr, von Unruhe gestachelt, auf den Fußspitzen den Apparat und kann es doch nicht verhüten, daß Geheimnisse preisgegeben werden.

Natürlich werden dadurch meine geschäftlichen Entscheidungen unsicher, meine Stimme zittrig. Was macht Harras, während ich te-lephoniere? Wollte ich sehr übertreiben- aber das muß man oft, um sich Klarheit zu verschaffen -, so könnte ich sagen: Harras braucht kein Telephon, er benutzt meines, er hat sein Kanapee an die Wand gerückt und horcht, ich dagegen muß, wenn geläutet wird, zum Telephon laufen, die Wünsche des Kunden entgegennehmen, schwerwiegende Entschlüsse fassen, großangelegte Überredungen ausführen - vor allem aber während des Ganzen unwillkürlich durch die Zimmerwand Harras Bericht erstatten.

Vielleicht wartet er gar nicht das Ende des Gespräches ab, sondern erhebt sich nach der Gesprächs stelle, die ihn über den Fall genügend aufgeklärt hat, huscht nach seiner Gewohnheit durch die Stadt und, ehe ich die Hörmuschel aufgehängt habe, ist er vielleicht schon daran, mir entgegenzuarbeiten.  - (kaf)

Haus Hellhoerigkeit

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VB
Hörbarkeit

 

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