Harz    Es ist ein über die Maßen fürchterlicher Blick in eine schauderhafte Tiefe zu beyden Seiten. Die Bude, die in diesen Felsenschlünden jeden Schritt sich gewaltsam Bahn zu machen genöthigt wird, sieht man von oben kaum sich bewegen, und nur mit Mühe hört man das ferne Rauschen unter seinen Füßen. Die Klippen sind mannichfaltig gruppirt; von einer Seite ist nichts als Wald und Abgrund, von der andern hingegen eine köstliche Aussicht in die Ebene auf Halberstadt und Quedlinburg. Die merkwürdige Klippe, auf der man hinausgeht, streckt sich von der linken Seite des Felsenthals mit Busch bewachsen bis nahe an die gegenüberstehende Wand. Der furchtbarste Spalt stürzt sich zwischen der Stirn dieses wilden Felsrückens und der rechten Seite des Thals hinunter. Ein Stein von einer Elle im Durchmesser, der aus dem Felsen über die schreckliche Kluft hinausragt, ist das non plus uftra des neugierigen Wanderers. Es gehört mehr als gewöhnlicher Muth dazu, diesen Stein zu betreten und in das sogenannte Kronenloch hinunter zu schauen. Dieses Kronenloch ist eine tiefe Stelle in der Bude, worin die unschätzbare Krone liegen soll, welche der Prinzessin, deren Abentheuer dem Roßtrapp den Namen gegeben, im gewaltigen Satz entfiel, den ihr Roß auf der einen Seite des Thals auf diese Klippe machte, und hier mit seinem Hufe dem Felsen das Mahl eindrückte, das noch bis auf den heutigen Tag daselbst unter dem Nahmen der Trappe sichtbar ist, und was auch wir mit unsern leiblichen Augen gesehen haben. Dieser Satz errettete das heroische Mädchen von der Verfolgung eines Wendischen Fürsten, der, von ihren Reitzen besessen, sie auf der rechten Spitze des Thals mitten im Tanz, mit ihren Gespielen überraschte. Von diesem Tanz heißt jene entgegenstehende Spitze noch jetzt der Tanzsaal. -

Unser Führer schien in der Welt auch Freydenker geworden zu seyn; er sprach mit Spötteln von diesem ächt historischen Facto und rückte mit manchem Vernunftgrunde recht polemisch heraus. So viel ist aber gewiß, daß man sich auf der Roßtrappe geneigt fühlt, ein wenig mehr zu glauben, als auf dem platten Lande; denn man findet sich in einer wunderbaren Umgebung. Die Felsen nehmen allerley seltsame Gestalten an. So sieht man hier aus dem Walde einen Thurm, dort Ruinen eines Thors, je sogar zwey Bildsäulen hervorragen, aus denen man nicht recht weiß, was man machen soll. - Zuletzt führte uns der Führer auf einen Fleck, der das Kriterium seiner Meisterschaft ist. Man gewahrt nämlich hier mitten in der waldigen Einöde plötzlich den Brocken und seine Knappen in lichter Klarheit. Dies ist eine Thatsache, die allen Zweifel ein Ende macht, den unkundigere Führer über diesen wichtigen Punkt veranlaßt haben. Der unsrige that auf die Kenntniß dieses Flecks nicht ohne Grund stolz, und erzählte, daß er einen von diesen Pfuschern, der gegen ihn behauptet und sogar auf eine desfalsige Wette angetragen hätte, daß man den Brocken nicht von der Roßtrappe aus sehen könne, damit aufallend vor den Augen einer ganzen Gesellschaft beschämt habe.

Noch zwey gräßliche Geschichten gab er uns zum Besten, von drey Thalschen Kindern, die vor etwa fünfzehn Jahren beym Holzsuchen einer hohen Klippe heruntergestürzt waren, wovon das Mädchen den Hals gestürzt, der eine Junge mit gebrochenem Arm und Bein davon gekommen, der andere aber gar einen blauen Fleck nur davon getragen habe; - und von einem Jägerburschen, der einst auf einer Klippe, genannt Rabenstein, nach Adlerhorsten gestiegen sey und nicht wieder herunter gekonnt habe; drey Tage hintereinander sey das Dorf hinausgezogen, ohne daß sich jemand zum Hinaufsteigen entschlossen, oder sich sonst ein Mittel zu seiner Errettung gefunden habe. Sein Vater, der Förster, hat den letzten Tag sich schweigend an einen Baum gelehnt und mit der Büchse unverwandt nach dem Sohne hinaufgesehen; endlich ist ein verwegener Flößer gegen Abend glücklich zu ihm gekommen, und hat ihn mittelst einer Strickleiter heruntergebracht. Nachher hat der Vater oft versichert - er sey Willens gewesen, den Sohn den Abend mit der Büchse herunterzuschießen, um ihm die letzten Qualen des Hungertodes zu ersparen. - Novalis an den Kreisamtmann Just, 1. Juli 1797

 

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