answurst  Da ist einer, sie nennen ihn Hanswurst, weil er so ein dummer Mensch ist, der zu nichts Rechtem zu gebrauchen ist. Ich kenne ihn wohl, den liederlichen, unklugen Burschen. Es ist mir im Leben noch keiner begegnet, zu dem ich rascher hätte sagen mögen: »Du bist ein Schelm«, und keiner, der mich mehr nötigte, über ihn zu lachen. Wenn dumme und ungesunde Einfälle Zinsen eintragen, so gehört er zu den reichen Leuten, aber die Wahrheit ist: er ist arm wie eine Spitzmaus. Ein Sperling hat nicht so wenig Aussicht, es in der Welt zu etwas zu bringen als er, und dennoch kennt er nur Fröhlichkeit, und es ist mir noch nie gegönnt gewesen, einen Zug von Unlust in seinem Spitzbubengesicht zu entdecken. Einmal wollte ihn jemand befördern, Hanswurst aber ergriff die Flucht vor der Beförderung, als wenn sie ein Unheil sei; so dumm benahm er sich im wichtigsten Moment seines Lebens. Er ist und bleibt ein Kind, ein Dummkopf, der das Bedeutende vom Unbedeutenden, das Schätzenswerte vom Wertlosen nicht zu unterscheiden vermag. Oder sollte er am Ende klüger sein, als er selber ahnt, sollte er mehr Witz haben, als er fähig ist zu verantworten? Liebe Frage, ich bitte dich, bleibe hübsch unbeantwortet! Hanswurst ist jedenfalls glücklich in seiner Haut. Eine Zukunft hat er nicht, aber er begehrt auch gar nicht, etwas derartiges zu haben. Was soll aus ihm werden? Bete doch einer für ihn! Er selber ist zu dumm dazu.  - Robert Walser, nach (bes)

Hanswurst (2)  Es gibt keine Literatur ohne Abtrünnigkeit, Unfügsamkeit, Gleichgültigkeit. Abtrünnigkeit wovon? Von jedem solidarischen Gehorsam, jeder Einwilligung ins eigene oder fremde gute Gewissen, jedem mitmenschlichen Gebot. In erster Linie entschließt sich der Schriftsteller, unnütz zu sein. Wie oft haben ihm nicht die nützlichen Menschen ihre alte Schmähung ins Gesicht geschleudert: »Hanswurst.« So sei es: der Schriftsteller ist auch Hanswurst. Er ist der fool, jenes Wesen, welches das Menschliche nur streift, welches die Gotteslästerung, den Spott, die Gleichgültigkeit in die Nähe des potentiellen Mordes treibt. Für den Hanswurst gibt es keinen Platz in der Geschichte, er ist ein lusus, ein Irrtum.

Vom Grund auf asozial, wird der Deserteur seine listenreiche Flucht abstimmen auf die zwingenden Strukturen seiner Zeit. Er verabscheut die Ordnung und das gute Gewissen, und die Komplizi-tät der beiden ist ihm widerlich. Wo jener lächerliche middle aged, der MANN, triumphiert, muß er sieh tarnen, muß Haken schlagen, muß die Flucht ergreifen. Muß sich tagtäglich mit tragischer und exakter Gebärde von den euphorischen Mythen des verlogenen guten Gewissens reinigen: der kollektiven Weisheit, dem Fortschritt, der Gerechtigkeit.

Mit unstetem, tückischem Blick sucht er beharrlich nach den Indizien der Gewalt, mineralischen Hieroglyphen auf einer Hand, die nur zum Teil menschlich ist, nach dem Moos, das unsern Mund überwuchert, nach den geometrischen Wundspuren der Zersetzung; er steht auf Seiten des Todes, dieser schreienden, unüberbietbaren Ungerechtigkeit, dieses köstlichen Paradoxons, des ironischen Ortes, zu dem man gelangt, wenn man aufhört zu gehen. Er wählt sich unterirdische, nicht asphaltierbare Gänge als Aufenthalt. Ihn verlangt nach einer besonderen Freiheit, die für jeden Schriftsteller verschieden ist: keinesfalls ist es eine liberale Freiheit, und in der Tat, der Liberale toleriert sie nicht. Sie ist blasphcmisch, zerstörerisch. Liebevolle Freiheit erstickt ihn, sie hat den Beigeschmack von ehrbarer, perfektionistischer Kollaboration. Er kann in jeder Atmosphäre überleben, sie muß nur verpestet sein. Wo die Finsternisse des Optimismus herrschen, ist er ein heimlicher Grenzgänger, der mit priesterlicher Umsicht den Tabernakel der Gifte bei sich trägt. Von Natur aus anarchisch, hält er stets Kontakt zu den Gängen der Unterwelt, jenen vorhangverhangenen, schlupfwinkeligen Labyrinthen, in die sich der tugendsame Blick des Humanisten nicht hineinwagt.

Die Literatur ist anarchisch und folglich eine Utopie: als solche löst sie sich ununterbrochen auf, um neue Form zu gewinnen. Wie alle Utopien ist sie infantil, aufreizend, verwirrend.  - Giorgio Manganelli, Literatur als Lüge. Nach (man)

 

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