- Robert
Walser, nach (
bes
)
Hanswurst (2) Es gibt keine Literatur ohne Abtrünnigkeit, Unfügsamkeit, Gleichgültigkeit. Abtrünnigkeit wovon? Von jedem solidarischen Gehorsam, jeder Einwilligung ins eigene oder fremde gute Gewissen, jedem mitmenschlichen Gebot. In erster Linie entschließt sich der Schriftsteller, unnütz zu sein. Wie oft haben ihm nicht die nützlichen Menschen ihre alte Schmähung ins Gesicht geschleudert: »Hanswurst.« So sei es: der Schriftsteller ist auch Hanswurst. Er ist der fool, jenes Wesen, welches das Menschliche nur streift, welches die Gotteslästerung, den Spott, die Gleichgültigkeit in die Nähe des potentiellen Mordes treibt. Für den Hanswurst gibt es keinen Platz in der Geschichte, er ist ein lusus, ein Irrtum.
Vom Grund auf asozial, wird der Deserteur seine listenreiche Flucht abstimmen auf die zwingenden Strukturen seiner Zeit. Er verabscheut die Ordnung und das gute Gewissen, und die Komplizi-tät der beiden ist ihm widerlich. Wo jener lächerliche middle aged, der MANN, triumphiert, muß er sieh tarnen, muß Haken schlagen, muß die Flucht ergreifen. Muß sich tagtäglich mit tragischer und exakter Gebärde von den euphorischen Mythen des verlogenen guten Gewissens reinigen: der kollektiven Weisheit, dem Fortschritt, der Gerechtigkeit.
Mit unstetem, tückischem Blick sucht er beharrlich nach den Indizien der Gewalt, mineralischen Hieroglyphen auf einer Hand, die nur zum Teil menschlich ist, nach dem Moos, das unsern Mund überwuchert, nach den geometrischen Wundspuren der Zersetzung; er steht auf Seiten des Todes, dieser schreienden, unüberbietbaren Ungerechtigkeit, dieses köstlichen Paradoxons, des ironischen Ortes, zu dem man gelangt, wenn man aufhört zu gehen. Er wählt sich unterirdische, nicht asphaltierbare Gänge als Aufenthalt. Ihn verlangt nach einer besonderen Freiheit, die für jeden Schriftsteller verschieden ist: keinesfalls ist es eine liberale Freiheit, und in der Tat, der Liberale toleriert sie nicht. Sie ist blasphcmisch, zerstörerisch. Liebevolle Freiheit erstickt ihn, sie hat den Beigeschmack von ehrbarer, perfektionistischer Kollaboration. Er kann in jeder Atmosphäre überleben, sie muß nur verpestet sein. Wo die Finsternisse des Optimismus herrschen, ist er ein heimlicher Grenzgänger, der mit priesterlicher Umsicht den Tabernakel der Gifte bei sich trägt. Von Natur aus anarchisch, hält er stets Kontakt zu den Gängen der Unterwelt, jenen vorhangverhangenen, schlupfwinkeligen Labyrinthen, in die sich der tugendsame Blick des Humanisten nicht hineinwagt.
Die Literatur ist anarchisch und folglich eine Utopie: als solche löst sie
sich ununterbrochen auf, um neue Form zu gewinnen. Wie alle Utopien ist sie
infantil, aufreizend, verwirrend. - Giorgio Manganelli, Literatur
als Lüge. Nach
(man)
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