Haltsuchender


 

 - Topor, nach: John Buchan, Mr. Standfast oder Im Westen was Neues. Zürich 1980 (zuerst 1919)

Haltsuchender (2)  Ich wünschte mir, meine Mutter hätte mich als Säugling öfters angelangt, dann wären mir die Menschen nicht so eine Luft geworden. Ich bin ein jedes Mal baff, wenn meine Kugel einen umbringt. Um überhaupt noch einen Halt zu finden, mußte ich meine besten Freunde morden. Meiner Frau gab ich den Gnadenschuß. Ich schweifte durch das Land, damit ich noch jemand traf. Als Kuschwarda City war ich berüchtigt. Einen einzigen Menschen habe ich laufen lassen und das war ein Metzger von Zwiesel. Der Metzger hatte noch in vor-katastrofaler Zeit in seinem Wohnzimmer den Briefträger erschlagen und war aus Angst über die Entdeckung der Blutspuren auf dem Teppich, den er zusammengerollt hatte, in seinem Bau geblieben. Vorm Ladenfenster zeigte er mir die Blutflecken, wenn ich ihm doch den Teppich vom Hals schaffen könnte! Er war überhaupt nicht über den neuen Zeitlauf informiert, als ich ihn auffand. Ich hatte mir von ihm ein Schwarzgeräuchertes erhofft. Ich skizzierte ihm ein Bild von dem, was in der Zwischenzeit geschehen war, und da atmete er auf. Als wir vor seiner Ladentüre standen, schaute er sich ängstlich um. Ich hatte nichts gegen ihn und ließ ihn laufen. Da ich ohne Geld keinen Film machen konnte, hatte ich nur noch Lust, zu leben wie in einem Film. Und ich begnügte mich nicht, aus dem Fenster zu blicken wie Belmondo in Godards erstem Film durch einen Zeitungslauf schaut, wie der in Samuel Fullers »Vierzig Gewehre«, der durch den Lauf eines Gewehrs sieht, die Kamera seine Position einnimmt, und man das Mädchen durch die Mündung sieht, die eine Büchsenmacherin ist. Schnitt, und der, der ein Gewehr von ihr haben wollte, küßt sie und man ist drei Sekunden lang befreit. Wissen, wo jemand lebt und schon vor der Aufrichtung eines menschlichen Oberkörpers auf der Lauer sein und sich nicht bei dem üblen Gefühl des ersten Mords aufhalten: alle umbringen. Denn ich spürte, daß dem Großen, das ich verfehlt hatte, nur noch Mord entsprach. Dem Arzt von Buchenau habe ich mit einem flachen Stein den Schädel eingeschlagen. Seine Harfistin traf dabei der Schlag. Jahre später saß sie noch da, die Knochenhand zu einem Flageolettakkord mit vier Tönen erhoben. Und auch der Arzt lag noch da, als würde er sich wieder erheben. Es war kein Unterschied, daß der Arzt eigentlich Pianist werden wollte und jetzt tot war. Um die Harfistin war es schon schade, denn ich hatte sie als Sklavin Maria zuführen wollen.  - Herbert Achternbusch, Die Stunde des Todes. Frankfurt am Main 1975
 
 

Festhalten Abrutschen

 

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