altbarkeit   Der Soldat mit dem jungen roten Gesicht unter dem Stahlhelm erwartete sie, das Gewehr vor sich am Boden, beide Hände am Lauf. Er war untersetzt, semmelblond und hatte einen kleinen Schnurrbart. Und auf seiner rechten Wange, gerade über dem Backenknochen, senkte sich eine blutrote, strahlige Narbe wie ein Trichter ein. Es war der Jäger Runge, der es in seinem Leben noch keinem recht gemacht hatte. Aber diesmal tut er es.

Er sieht sie auf sich zukommen. Wo habe ich die Watschelente mit den weißen Haaren schon gesehen?

Und er hebt sein Gewehr beim Lauf und schwingt es hoch und läßt den Kolben wie einen Hammer auf ihren Schädel niederfallen. Da verändert sich sein Gesicht. Es wird undeutlich und breiter, mächtig und schwarz. Hoch wirbelt er auf.

Er steht als eine düstere Wolkenmasse vor einem strahlenden hellen Hintergrund. Nur seine Umrisse sind zu erkennen und der scharf geschnittene Mund, um den ein zynisches Lächeln spielt, die weit offenen, erstorbenen Augen des Hochmuts und die furchtbare Armmuskeln, die eisernen Schultern, der gefallene Engel des Hasses, der in ihre Haare greift und sie zerrt. Sie speit ihm in sein tyrannisches Gesicht. Sie sucht sich loszureißen und schreit ihm ihren Abscheu entgegen: Du hast keine Macht über mich.

Da holt der Soldat, die Beine breitgestellt, schon zum zweiten wuchtigen Hieb aus. Er schwingt den Kolben über sich und schmettert ihn über ihren Schädel mit solcher Wucht, daß es kracht und sie wie ein gefälltes Tier zugleich mit dem Kolben zu Boden geht. Wie ein Sack liegt sie da und bewegt sich nicht mehr.

Er nimmt sein Gewehr wieder an sich, dreht es und prüft es, ob nicht das Holz gesprungen ist. Er nickt den beiden anderen zu, die sich über den schwarzen stummen Körper bücken, und sagt befriedigt: «Es hat gehalten.» - Alfred Döblin, November 1918. Eine deutsche Revolution. Bd.4. München 1978 (dtv 1389, zuerst 1939 ff.)

Haltbarkeit (2)  Die Industrie erzeugt alles viel zu klein heute, sage ich zum Fuhrmann, sie macht alles zu kurz und zu eng, und die Qualität ist die schlechteste. Im Grunde laufen die Leute mit Kleidern herum, die ein Betrug sind, weil sie zu kurz sind, zu eng sind, zu schlecht sind. Die Leute haben aber auch längst kein Gefühl mehr für Qualität. Für Haltbarkeit. Für Erstklassigkeit. Schon in kurzer Zeit zerfällt alles, was man anrührt. Aber die Industrie hat nichts anderes im Kopf, als Erzeugnisse auf den Markt zu werfen, die in kurzer eit wertlos sind. Man schlüpft in ein Hemd hinein, sage ich, und es zerreißt, in die Hose, und sie zerreißt, man setzt den Hut auf, und er zerreißt. Man kann anziehen, was man will, es zerreißt in kürzester Zeit, wäscht man es, geht es ein usf. Zieht man an neuen Schuhbändern, zerreißen sie, klappt man die Schnallen zu, zerbröckeln sie, bückt man sich im neuen Mantel, zerreißt er, alles zerreißt und zerbricht und zerbröckelt, das ist der Fortschritt.  - Thomas Bernhard, Watten. Ein Nachlaß. In: T.B., Die Erzählungen.  Frankfurt am Main 1979
 
 

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