albflügler
Von dem leuchtenden Augenstein heftig angezogen, versuchte sich die Händlerin
aufzurichten, um nach ihm zu greifen, doch da kam ihr ein kleines fischiges
Händchen zuvor und nahm ihn ihr weg. Denn es war, ohne daß sie es bemerkt hätte,
unterdessen aus dem offenen Sonnenschacht ein ruhmloses, giftiges Männlein heruntergeklettert
und hatte sich auf dem Bettrand neben ihr niedergelassen. Dieses nun war ein
grünschimmerndes Wesen und gehörte der Gattung der Halbflügler an, welche zwar
nicht fliegen können, sich jedoch äußerst behend im elektrischen Feld der Lichtstrahlen
fortzubewegen wissen. In dem sphärischen Mittelbereich, in dem sie sich tummelten,
waren sie gleichwohl nur wenig vermögende Geister, und obgleich sie beinahe
über alles und jedes Bescheid wußten, war ihnen doch ein eigenes Wirken unter
den Lichtgestalten verwehrt. In unseren Verhältnissen hätte man sie zu den Intellektuellen
gezählt und ihnen ein gewisses Ansehen zugebilligt. Hier oben aber waren sie
gezeichnete Leute. Während ihr Körper einem nicht enden wollenden Verfall unterworfen
war, befanden sich ihr Geschlecht und Verstand im Zustand einer schmerzhaften
und stets gleichbleibenden Dauererregung. Kein Ariel und kein weibliches Luftgeschöpf
hätte sich je mit ihnen eingelassen, alle flohen ihre unverschämte Gegenwart.
Ein Wesen dieses Schlags hatte die Händlerin in ihrem Höhenbett ausfindig gemacht
und sich zu ihr gesellt. Es war von Kopf bis Fuß mit grünlichem Schimmel bedeckt.
Seine Wangen waren aschgrau und sein Gebiß bestand aus einer Kette von verdunkelten
Goldzähnen. Die Frau wurde von Abscheu ergriffen, warf sich jäh auf den Bauch
und drückte ihr Gesicht fest in das Kissen. Das Männlein konnte aber offenbar
seine Stimme über ihren Körper wandern lassen, ohne sich selbst zu bewegen.
Sein brüchiges 'Flüstern kitzelte sie mal am Ohr, dann in den Kniekehlen und
unter den Achseln. In ihrer namenlosen Furcht war sie sich keiner Scham mehr
bewußt, so daß sie nun mit einem bis über die Hüfte aufgerollten Nachtkleid
dalag und nicht einmal bemerkte, daß die Decke von ihrem halbentblößten Rücken
gerutscht war. Über diesen strich nun der schmierige Schwärmgeist hin und ergoß
sich in einem Schwall von lüsternen Gebeten. - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
|
||
|
|
|