äßlichkeit
Nun aber kommt der häßlichste Brauch
bei den Babyloniern. Jede Frau aus dem Lande muß sich einmal in ihrem Leben
in das Heiligtum der Aphrodite setzen und einem Fremden preisgeben. Viele,
die sich mit den andern Weibern nicht gemein machen wollen, weil sie sich
auf ihren Reichtum etwas einbilden, fahren in verdecktem Wagen zum Heiligtum
und nehmen so Aufstellung, und eine große Dienerschaft folgt ihnen nach.
Die meisten aber machen's so: Sie setzen sich hin im heiligen
Bezirk der Aphrodite und haben einen Kranz von Stricken um den Kopf, eine
Menge Weiber, denn die einen kommen, andere gehen. Schnurgerade Gassen
ziehen sich in allen Richtungen durch die Weiber, und auf ihnen gehen die
fremden Männer hin und her und suchen sich eine aus. Wenn sich eine Frau
erst einmal dort niedergelassen hat, darf sie nicht eher nach Hause, als
bis ihr einer der Fremden Geld in den Schoß geworfen und sie außerhalb
des Heiligtums beschlafen hat. Wenn er das Geld hinwirft, muß er dazu die
Worte sprechen: «Im Namen der Mylitta, komm!» Mylitta nennen die Assyrer
die Aphrodite. Das Geld
nun kann viel sein oder wenig; sie wird's nämlich nicht zurückweisen, denn
das darf sie nicht, denn das Geld ist geweiht. Wer zuerst das Geld hinwirft,
dem folgt sie und wird keinen verschmähen. Ist der Beischlaf vollzogen,
ist sie der Göttin geweiht und geht nach Hause, und fortan kannst du ihr
noch so viel bieten, du bekommst sie nicht. Die nun hübsch aussehen und
stattlich sind, können bald wieder gehen, die Häßlichen aber müssen lange
Zeit dableiben, weil sie das Gesetz nicht erfüllen können; ja manche warten
wohl drei und vier Jahre. - (
hero
)
Häßlichkeit (2) Ich empfand schon sehr
früh den Menschen als ‹häßlich›; das Tier schien mir schöner, reiner;
aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlswidriges und Häßliches, so
daß meine Darstellungen instinktiv, aus einem inneren Zwang immer schematischer,
abstrakter wurden. Bäume, Blumen, Erde, alles zeigte
mir mit jedem Jahr mehr häßliche, gefühlswidrige Seiten, bis mir erst jetzt
plötzlich die Häßlichkeit der Natur, ihre Unreinheit voll zum Bewußtsein
kam. Vielleicht hat unser europäisches Auge die Welt vergiftet und entstellt.
- Franz Marc, nach: Walter Hess (Hg.): dokumente zum verständnis
der modernen malerei. Reinbek bei Hamburg 1964 (rde 19)
Häßlichkeit (3) Die Linie des Schönen,
wie weit sie geht. Bei Gelegenheit eines Gedichts
von mir: »der Wahnsinns-Traum«. Ob sie in diesem überschritten ist? Vielleicht
dürfte der Satz gelten: was der Dichter getreu
bildet, das ist schön, aus diesem würde sich aber eine Schönheit
der Häßlichkeit folgern lassen. Die größte Häßlichkeit ist der Wahnsinn,
denn die Auflösung ist an jedem Gegenstand das Häßlichste und dies in höherem
Grade an dem vollkommeneren, als an dem unvollkommeneren Gegenstande. Dieser
kann in der Auflösung verschönert sein, insoferne
er durch seine Existenz beleidigte. - (
heb
)
Häßlichkeit (4) Wenn eine Häßliche
Liebe erweckt, muß solche Leidenschaft
maßlos heftig sein; denn nur eine ungewöhnliche Schwäche
ihres Liebhabers oder geheimere, unwiderstehlichere
Reize als die der Schönheit
können ihre Ursache werden. - (
bru
)
Häßlichkeit (5) Heidegger,
ein deutscher Musikus in London, war ein abenteuerlich gestalteter, aber
aufgeweckter und gescheuter Mann, mit dem auch Vornehme, der Konversation
halber, gerne in Gesellschaft waren. - Einsmals fiel es ihm ein, in einer
Punschgesellschaft gegen einen Lord zu behaupten: daß er das häßlichste
Gesicht in London sei. Der Lord sann nach und
schlug eine Wette vor, daß er ihm ein noch häßlicheres aufstellen wollte,
und nun ließ er ein versoffenes Weib rufen, bei deren Anblick die ganze
Gesellschaft in ein helles Lachen geriet und aufrief: Heidegger! ihr habt
die Wette verloren! - Das geht so geschwind nicht, antwortete dieser; denn
nun laßt das Weib meine Perücke und ich will ihre Comette aufsetzen; dann
wollen wir sehen. Wie das geschah, so fiel alles ins Lachen,
bis zum Sticken: denn das Weib sah wie ein ganz manierlicher Mann, der
Kerl aber wie eine Hexe aus. Dies beweist, daß,
um jemanden schön, wenigstens erträglich hübsch, zu heißen, man sein Urteil
nicht schlecht hin, sondern immer nur relativ fällen muß und daß für einen
Kerl jemand darum noch gar nicht häßlich heißen dürfe, weil er etwa nicht
hübsch ist. - Nur ekelhafte Leibesschäden im Gesicht können zu diesem Ausspruch
berechtigen. - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
(1798)
Häßlichkeit (6) Und ich
bin nun gestern hingegangen, mitten hinein, geführt von Frau von Chaulnes:
an den Hof. Ich habe die Dauphine gesehen, deren Häßlichkeit gar nicht
erschreckend ist und auch nicht unangenehm. Gut, ihr Gesicht
steht ihr nicht, aber ihre Klugheit steht ihr dafür um so besser. Was sie
tut, was sie sagt, verrät, daß sie deren viel besitzt. Ihre Augen sind
lebhaft und durchdringend, sie erfaßt und versteht rasch und leicht, ist
natürlich und so gar nicht verlegen und erstaunt, ganz als wäre sie im
Louvre geboren. Sie ist dem König sehr dankbar, doch ohne jede Unterwürfigkeit,
nicht etwa als fühle sie sich höher gehoben, sondern weil aus ganz Europa
sie erwählt und ausgezeichnet worden ist. Sie sieht sehr würdig aus, vornehm
und gütig. Sie liebt Gedichte, Musik,
Gespräche, bleibt auch gern vier bis fünf Stunden
ruhig in ihren Gemächern und ist erstaunt, wie aufgeregt man hier immer
nach Zerstreuung sucht. - (
sev
)
Häßlichkeit (7) Eigentlich, wenn man
sie so sah, ordentlich gekleidet und mit den Spitzen ihres geölten Haares, die
aus dem Kopftuch hervorkamen, konnte sie einem auch wie viele andere Frauen
des Dorfes erscheinen, ich aber wußte um ihre Häßlichkeit, weil ich mehr als
einmal unerwartet in ihr Zimmer hinaufgekommen war, sie ohne Schürze und Kleid
vorgefunden und so gemerkt hatte, daß sie ganz platt war, keine Hüften
und keine Brust, dabei die typisch dicken Beine, wie sie Bäuerinnen haben. Und
die vielen Male, als ich ihr zum Spaß das Kopftuch wegriß, konnte sie mir fast
leid tun mit ihrem ganz schmalen Köpfchen, ihrer knapp vier Finger breiten Stirn
und den paar gefetteten Haarsträhnen. Maria Giuseppa besaß grobe Hände und grobe
Füße, und ihre Schritte waren so laut, daß sie einen erschreckten. -
(
land
)
Häßlichkeit (8) Ein Spanier,
der mir eines Tages eine Frau, die er haßte, gehörig zeichnete, sagte: »Seht,
sie ist wie eine alte und vollgeschmierte Küchenlampe; an Form und Gestalt
gleicht sie einem großen leeren und elend gebauten Schrank; ihr Gesicht hat
die Farben und die Reize einer schlecht bemalten Maske; einen Leib hat sie wie
eine Klosterglocke oder ein Mühlstein; ein Gesicht wie ein Götzenbild aus vergangenen
Zeiten; Blick und Gang erinnern an ein altes Gespenst, das bei Nacht umgeht;
so daß ich wenn ich ihr bei Nacht begegnete, sie für einen Alraun halter könnte!
Jesus! Jesus! Gott behüte mich vor einer solchen Begegnung.«
- (
brant
)
Häßlichkeit (9) Wäre ich so klug gewesen,
ihr zu sagen, daß ich sie liebe, sie hätte sich bestimmt darüber gefreut. Tatsache
ist, daß ich sie nicht genug liebte, um vergessen zu können, wie häßlich ich
bin. Sie selbst hatte es vergessen. Als ich einmal vor der Abreise stand, sagte
sie mitten in ihrem Salon zu mir: »Ich muß Ihnen etwas sagen.« Und dann gab
sie mir in einem Durchgang zu einem Vorzimmer, wo zum Glück niemand war, einen
Kuß auf den Mund, und ich gab ihn ihr mit leidenschaftlicher Glut zurück. Am
nächsten Tag reiste ich ab, und es geschah nichts weiter. - (
ele
)
Häßlichkeit (10) Er hatte ein rundes, bleiches, stark pockennarbiges Gesicht und kleine, blaue, sehr lebhafte Augen, deren Ränder aber von der grausamen Krankheit arg angegriffen und ausgefasert waren. Zu alldem kam noch ein leicht pedantischer, mißlauniger Anstrich. Da er überdies einen häßlichen Gang hatte und sich fortbewegte, als hätte er verkrümmte Beine, war er sein Leben lang das gerade Gegenteil der Eleganz, obschon er, leider, stets nach Eleganz strebte, und dabei war er ein ganz göttlicher Geist. (La Fontaine)
Er zeigte seine Gefühle nur selten, wenn er es aber tat, dann brach seine leidenschaftliche Vaterlandsliebe durch und er wäre zu wahrem Heldenmut fähig gewesen, wenn es darauf angekommen wäre. In einer beratenden Versammlung wäre er ein Held, ein Hampden gewesen, und für mich ist damit alles gesagt.
Kurzum, er war bei weitem der geistvollste und scharfsinnigste Dauphinese,
den ich gekannt habe, und er besaß jenes Gemisch aus Kühnheit und Schüchternheit,
das man haben muß, um in einem Pariser Salon zu glänzen. Er redete sich wie
der General Foy in Feuer.
-
(brul)
Häßlichkeit (11) Es verdrießt mich, daß Sokrates, diesem vollendeten Beispiel aller großen Vorzüge, ein so ungcstalter Körper und ein so häßliches Gesicht zuteil wurden, wie man sagt, das wenig der Schönheit seiner Seele entsprach, ihm, der so in die Schönheit verliebt und von ihr begeistert war. Die Natur hat ihm unrecht getan. Es gibt nichts Wahrscheinlicheres als die Übereinstimmung und Beziehung zwischen Körper und Geist. Ipsi animi magni refert quali in corpore locati sint: multa enim e corpore existunt quae acuant mentem, multa quae obtundant1. Dieser spricht von einer unnatürlichen Häßlichkeit und Mißbildung der Glieder. Doch wir nennen Häßlichkeit auch eine gewisse Mißfälligkeit beim ersten Anblick, die hauptsächlich dem Gesicht eignet und uns oft aus überaus geringfügigen Ursachen abstößt; wegen einer Hautfarbe, eines Flecks, eines groben Zugs, aus einem unerklärlichen Grunde, an einem sonst wohlgegliederten und fehlerlosen Körperbau. Die Häßlichkeit, die an La Boetie eine sehr schöne Seele bekleidete, war von solcher Bewandtnis. Diese oberflächliche Häßlichkeit, die sich dennoch sehr aufdrängt, ist dem Befinden des Geistes weniger nachteilig und schwankt im Urteil der Menschen. Die andere, die richtiger Verunstaltung genannt wird, ist wesentlicher und richtet unschwer Schaden bis ins Innere an. Nicht jeder schön geglänzte, aber jeder gut geformte Schuh zeigt die Bildung des Fußes, der darin steckt. So sagte Sokrates von seiner Häßlichkeit, sie verrate eine ebensolche Häßlichkeit in seiner Seele, deren er nur durch Selbstzucht Herr geworden sei. Aber ich glaube, er spottete nach seiner Gewohnheit, als er das sagte, und nie hat eine so treffliche Seele sich selber geformt.
Ich kann es nicht oft genug sagen, wie sehr ich die Schönheit, diese mächtige und einnehmende Gabe, hochschätze. Er nannte sie eine vergängliche Tyrannis und Plato das Vorrecht der Natur. Wir haben nichts, was sie an Ansehen überträfe. Sie hält den höchsten Rang im Umgang mit Menschen: sie tritt voran, verführt und bestrickt unser Urteil mit mächtigem Bann und wunderbarer Gewalt.
1 Es hängt für die Seelen viel davon ab, in welcherlei Körper sie untergebracht sind: denn es gibt viele körperliche Eigenschaften, die den Geist schärfen, viele andere, die ihn abstumpfen. (Cicero)
Häßlichkeit (12)