ändedruck   Einen Augenblick, während er sich von mir verabschiedete, drückte Monsieur de Charlus mir die Hand, als wolle er sie zerquetschen, was eine deutsche Eigentümlichkeit aller Leute ist, die so geartet sind wie der Baron, und ein paar Sekunden noch ›massierte‹ er sie mir, wie Cottard es ausgedrückt hätte, als wolle er meinen Gelenken eine Geschmeidigkeit wiedergeben, die sie durchaus noch nicht eingebüßt hatten. Bei manchen Blinden ersetzt das Tastgefühl in gewissem Ausmaß das Gesicht. Ich weiß nicht, welchen anderen Sinn es in diesem Falle vertrat. Er glaubte mir vielleicht nur die Hand zu drücken, so wie er gewiß meinte, einen Senegalneger, der gerade im Dunkel vorüberging und nicht zu bemerken geruhte, wie sehr er bewundert wurde, nur anzuschauen. In diesen beiden Fällen täuschte sich der Baron. Er sündigte durch ein Übermaß an Intensität der Berührung ebensowohl wie des Blicks. »Ist hierin nicht der ganze Orient eines Decamps, eines Fromentin, eines Ingres, eines Delacroix enthalten? sagte er zu mir, immer noch durch den Anblick des vorbeigehenden Senegalnegers in eine Art von Erstarrung gebannt. Sie wissen ja, ich persönlich interessiere mich für die Dinge und die Geschöpfe immer nur als Maler oder als Philosoph. Im übrigen bin ich jetzt zu alt. Aber wie schade - um im Bilde zu bleiben - daß nicht einer von uns beiden eine Odaliske ist.«  - Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. (Die wiedergefundene Zeit) Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1913 ff.)

Händedruck (2)   Er schaute auf seinen Hut; er schaute sein Eis an - jetzt ein unansehnlicher Brei; er schaute unruhig suchend auf die Tischplatte mit dem Adergewirr, das sich durch den häßlichen schwarzen Marmor zog. Und schließlich hob er seine Augen - diese ausdruckslosen Glaskugeln - und sah mich an. Er nahm den Hut von der rechten in die linke Hand und zögernd, ohne den Blick von mir zu lassen, streckte er mir die leere Hand ein kleines Stück über den Tisch entgegen. Dann wendete er sich ab und zog sie zurück.

Ich tat so, als hätte ich seine Geste nicht bemerkt. »In ein paar Minuten sollte wieder ein Achtzehner fällig sein«, bemerkte ich unaufgefordert. »Und wenn ich nicht irre, habe ich ein paar Meter von hier eine Haltestelle gesehen.«

Und doch konnte ich ihn im Augenblick nicht einfach da stehenlassen - nur der Gnade dieser ungehaltenen jungen Kellnerinnen mit ihren steif gestärkten Häubchen ausgeliefert. »Ich gehe in die selbe Richtung«, sagte ich. »Soll ich Ihnen in den Bus helfen?«  !- '

»Es ist nur die Hitze«, antwortete er. »Nein, vielen Dank. Sie waren ein...«

Aufatmend unterdrückte ich, so gut ich konnte, meine Abneigung gegen ihn, die mein ganzes Blut gerinnen machte, als hätte man ein paar Tropfen Essig hineingeschüttet. Was für Ungeheuer an Haß und Erbarmungslosigkeit wir Menschen doch sein können! Und ich bin gespannt, wie wohl mein kleines Sündenregister aussehen wird, wenn einmal die Geheimnisse aller Herzen enthüllt werden.

Im Augenblick hatte ich das Gefühl, als ob mein ganzer rechter Arm stellenweise paralysiert sei. Aber ich überwand mich schließlich und streckte meine Hand aus, und er dann auch die seine. Dabei kam sein Manschettenknopf, ein großer grüner Solitär, über seiner Armbanduhr zum Vorschein. Wir schüttelten uns die Hände - wobei ich bezweifle, daß ein nur physischer Kontakt sehr viel verraten kann, wenn die Person dahinter aus instinktiver Abneigung gefühllos ist.

Übrigens war die Wirkung dieser so kalten freundlichen Geste entsetzlich peinlich. Unwillkürlich mußte ich an Eis denken, das durch plötzliches Tauwetter zerfällt und schmilzt. Er schien, wie durch ein Übermaß an Gefühl oder ein Betäubungsmittel, in einen Zustand physischer und psychischer Hilflosigkeit zurückgesunken zu sein. Es war geradezu widerlich. Es verwirrte und beschämte mich und machte mich elend. Ich kehrte ihm jäh den Rücken, bezahlte unsere Rechnung an der Kasse und ging. - Walter de la Mare, Die Orgie - Eine Idylle. Phantastische Erzählungen. Mit Zeichnungen von Edward Gorey. Zürich 1965

Händedruck (3)  Er hatte eine Reihe von fixen Ideen, Malito, eine davon das Telephon. Seiner Meinung nach waren alle Telephone der Stadt angezapft. Aber Malito, das verrückte Huhn, hatte noch andere Macken, meinte Dorda, der Oberverrückte. Er konnte kein Sonnenlicht ertragen und keine Menschenmenge und wusch sich die ganze Zeit die Hände mit purem Alkohol. Er mochte das frische und trockene Gefühl von Alkohol auf der Haut. Sein Vater war Arzt, wurde behauptet, Ärzte waschen sich die Hände mit Alkohol, bis zum Ellbogen hinauf waschen sie sich, wenn sie einen Kranken besucht haben, und der Junge hat diese Angewohnheit geerbt.

»Alle Keime«, erklärte Malito, »werden durch die Hände übertragen, mit den Fingernägeln. Gäben sich die Leute nicht die Hand, würden zehn Prozent weniger sterben, nämlich die, die durch Ungeziefer sterben.«

Tote durch Gewaltverbrechen gab es (ihm zufolge) nicht einmal halb so viele wie Tote durch ansteckende Krankheiten, aber niemand warf die Ärzte ins Gefängnis (Malito lachte). Manchmal stellte er sich vor, wie Frauen und Kinder mit Chirurgen-Handschuhen und Keimschutzmasken durch die Straßen liefen, die ganze Stadt war maskiert, um Krankheiten und Berührungen zu vermeiden.   - Ricardo Piglia, Brennender Zaster. Berlin 2001

Händedruck (4)
 

Begrüßung Hand

 

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Verwandte Begriffe
Handschlag
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