älfte Fang-p'ing sagte, seine Bestrafung sei ein Unrecht gewesen. Dies erzürnte
den Richter so sehr, daß er seinen Dienern befahl, Fang-p'ing in zwei Hälften
zu zersägen. Fang-p'ing wurde von Teufeln an einen Ort geführt, an dem man ihn
zwischen zwei hölzerne Planken warf. Der Boden war feucht und blutverklebt.
In diesem Augenblick wurde er erneut vor den Richter gerufen, der ihn fragte,
ob er immer noch nicht anderen Sinnes sei, und als er dies verneinte, wurde
er wieder abgeführt und zwischen die beiden Bretter gebunden. Dann wurde die
Säge angesetzt, und als sie durch sein Hirn drang, erlitt
er die .grausamsten Qualen, die er jedoch erduldete, ohne daß ein einziger Schrei
über seine Lippen gekommen wäre. «Er ist ein zäher
Geselle», sagte einer der Teufel, als die Säge langsam
durch seine Brust schnitt, und der andere antwortete: «Dies ist wahre Sohnesliebe.
Der arme Kerl hat nichts getan, darum wollen wir die Säge ein wenig schräg führen,
damit sein Herz nicht verwundet wird.» Fang-p'ing fühlte,
daß die Säge in seinem Körper einer Biegung folgte, was seine Schmerzen aber
nur verstärkte. Wenig später war er vollkommen entzweigesägt, und die beiden
Hälften seines Körpers fielen mit den Brettern, an die sie gebunden waren, zu
beiden Seiten herunter. Die Teufel gingen hinaus, um zu berichten, daß sie ihren
Auftrag erfüllt hatten, und sie erhielten den Befehl, Fang-p'ing wieder
zusammenzufügen und herbeizuschaffen. Dies taten sie - und der Schnitt durch
Fang-p'ings ganzen Körper schmerzte ihn furchtbar, und er hatte das Gefühl,
er könne jeden Augenblick wieder auseinanderklaffen. Da er aber nicht in der
Lage war zu gehen, nahm einer der Teufel ein Seil und band es um Fang-p'ings
Taille — als Belohnung für seine Sohnesliebe, wie er sagte.
Sofort hörten die Schmerzen auf, und Fang-p'ing erschien erneut vor dem Richter
und versprach diesmal, daß er keine Klage mehr einreichen werde. - P'u
Sung-Ling, Gast Tiger. Stuttgart 1984.
Die Bibliothek von Babel Bd. 21, Hg. Jorge Luis Borges
Hälfte (2) Außen ist vieles anders geworden. Ich
weiß nicht wie. Aber innen und vor Dir, mein Gott, innen vor Dir,
Zuschauer: sind wir nicht ohne Handlung? Wir entdecken wohl, daß wir die
Rolle nicht wissen, wir suchen einen Spiegel, wir möchten abschminken
und das Falsche abnehmen und wirklich sein. Aber irgendwo haftet uns
noch ein Stück Verkleidung an, das wir vergessen. Eine Spur Übertreibung
bleibt in unseren Augenbrauen, wir merken nicht, daß unsere Mundwinkel
verbogen sind. Und so gehen wir herum, ein Gespött und eine Hälfte:
weder Seiende, noch Schauspieler.
- Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids
Brigge. Fankfurt am Main 2000 (it 2691, zuerst 1910)