aarberg
Ich hatte gehört oder gelesen, daß in den KZ-Lagern den Häftlingen die Haare
geschoren worden waren, daß auch die Frauen vollkommen enthaart wurden, und
ich ersann mir jene Geschichte, in der wir uns auf Haarbergen betteten, und
noch in diesen Bergen erschien mir der Geruch weiblichen Schamhaars in der Einbildung,
obgleich ich solches noch nie gesehen hatte. Meine Sprache war voll von Haar,
im Fluß der Worte, den ich aus mir hervorströmen ließ, wogte und rauschte Haar,
im Herbst trugen die kranken kahlen Bäume jenseits der Müllhalden Perücken aus
Haar und Rauch, die Transportfahrzeuge der Müllabfuhr warfen es in den Wind
an den Hängen der toten Tagebaue. Haar, das ich schon in den Müllkübeln an den
Straßenrändern vermutete. Haar, dem ich zugeordnet war, als ein Menschenmüll,
der sich weigerte an der Müllabfuhr teilzunehmen. Mit dem härenen Müll seines
Schreibzeugs auf einem vor aller Welt verborgenen Tisch. Mit einem verdammten
Gehirn unter der stürmischen Perücke, verdammt von der Stimme meiner Mutter,
von der Stimme der Staatsmacht im Ton meiner Mutter. Mißbilligung meines Haars,
dem das Lager drohte. Dem Baracken drohten, die ich kannte aus meiner Kindheit.
In denen am Abend Haar durch die Fensterhöhlen wehte, Haar aus den Lagern, Haar
von der Rampe. Und mir war, als verwandle sich die gesamte Umgebung, das ganze
Land in einen Ort, ähnlich den Spielplätzen meiner Kindheit. Und als sei Haar
gelagert, vergessenes, verlorenes Haar hinter alle Hügel dieses Landes. Haar,
das nicht zu retten war, wenn ich es nicht aufnahm in meine Sprache. -
(
hilb2
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