ymnosophist   Am Waldrand sitzt, auf einem Scheiterhaufen, mit Kuhmist beschmiert, - ein Mann, ganz nackt, ausgedörrt wie eine Mumie; seine Glieder sind dünn wie Stöcke, mit dicken Knoten an den Gelenken. An seinen Ohren hängen Muschelpäckchen, er hat ein spitzes Gesicht und eine Geiernase. Sein linker Arm ragt steif und starr wie ein Pfahl in die Luft; - und er muß schon lange so sitzen, denn in seinem Haar nisten Vögel.

An den vier Ecken des Scheiterhaufens flackern vier Feuer. Er blickt mit weit offenen Augen direkt in die Sonne; - und ohne Antonius anzusehen:

Brahmane vom Nilufer, was sagst du dazu?

Von allen Seiten züngeln die Flammen aus dem Holz.

DER GYMNOSOPHIST Ich habe mich gleich dem Rhinozeros in die Einsamkeit vergraben. Ich wohnte in dem Baum hinter mir. Und wirklich hat der mächtige Feigenbaum eine natürliche Höhle in Menschengröße in seinem gerillten Stamm. Und ich habe mich so streng nach der Lehre nur von Blumen und Früchten ernährt, daß mich nicht einmal ein Hund hat essen sehen.

Da das Leben aus der Sünde, die Sünde aus dem Begehren, das Begehren aus den Sinnen, die Sinnesempfindungen aus der Berührung hervorgehen, habe ich jede Tat und jede Berührung vermieden; und - regungslos wie eine Grabstele, atmend mit geschlossenem Mund, den Blick auf meine Nase geheftet, den Äther in meinem Geist, die Welt in meinen Gliedern, den Mond in meinem Herzen betrachtend - sann ich dem Wesen der Großen Seele nach, der unaufhörlich, funkengleich, die Anfänge allen Lebens entspringen. Endlich habe ich die Höchste Seele in allen Wesen und alle Wesen in der Höchsten Seele erkannt; - und meine Seele, in der ich alle meine Sinne vereinigt hatte, ist in sie eingegangen. Ich empfange meine Erkenntnisse unmittelbar von oben, wie der Vogel Tchataka, der seinen Durst nur am Strahl des fallenden Regens löscht. Nachdem ich die Dinge erkannt habe, existieren sie für mich nicht mehr.

Ich kenne keine Hoffnung und keine Angst, kein Glück und keine Tugend, weder Tag noch Nacht, kein du und kein ich, nichts mehr. Durch meine furchtbaren Entbehrungen bin ich allen Mächten überlegen. Durch eine Anspannung meines Denkens kann ich hundert Königssöhne töten, die Götter entthronen, die Welt umstürzen.

Er sagt das alles mit monotoner Stimme.

Die Blätter ringsum rollen sich zusammen. Am Boden fliehen die Ratten.

Langsam senkt er den Blick zu den züngelnden Flammen, dann:

Ich bin aller Form, aller Wahrnehmung und sogar aller Erkenntnis überdrüssig — denn das Denken überlebt seine vergängliche Ursache nicht, und der Geist ist Täuschung wie alles andere.

Alles Gezeugte wird untergehen, alles Tote muß wieder auferstehen; die gegenwärtig verschwundenen Wesen halten sich eine Weile in noch nicht entstandenen Mutterleibern auf und kehren dann wieder auf die Erde zurück, um anderen Kreaturen unter Schmerzen zu dienen.

Aber da ich durch so unendlich viele Wesen in Götter-, Mensch- und Tiergestalt hindurchgegangen bin, gebe ich die Wanderungen auf, ich will diese Mühen nicht mehr! Ich verlasse die schmutzige, fleischummauerte, blutgetränkte und mit ekelhafter Haut überzogene Herberge meines Körpers, voll von Unrat; — und werde zum Lohn schlafen können, im tiefsten Grund des Absoluten, im Nichts.

Die Flammen lecken an ihm hoch - und schlagen über ihm zusammen. Sein Kopf blickt wie aus einem Mauerloch. Die weit offenen Augen starren immer noch. - (vers)

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