urkenfrage Dies
ist die Geschichte einiger Arbeiter auf dem Bärenauge, die sich während der
Frühstückspause immer über die Verschiedenheit einzelner Gurkensorten unterhielten,
die ihre Lehrlinge ihnen zum. Frühstück kaufen mußten. Saure Gurken, Salatgurken,
Delikateßgurken, Gewürzgurken, eingelegte Gurken, Essiggurken, Senfgurken, Pfeffergurken.
Der oft in heftigen Streit ausartende monatelange Disput wäre an sich leicht
ein für alle Male und kurzfristig zu beenden gewesen, wenn sich Jemand jemals
die Mühe gemacht hätte, die Gattungsdefinitionen der einzelnen Gurkenarten in
einem Lexikon oder Kochbuch nachzuschlagen und festzustellen. Auf die objektive
Richtigkeit der einzelnen Aussagen über das Wesen bestimmter Gurkensorten kam
es jedoch nicht an. Denn, wer recht hatte, bestimmte ein für alle Male die Rangordnung
der Arbeiter untereinander, die Beredsamkeit des einzelnen, der Witz, seine
Renitenz, die Frechheit, eine längst entschiedene Gurkenfrage noch einmal aufzugreifen.
Hatte zum Beispiel der Polier der Maler einmal entschieden, Delikateßgurken,
Gewürzgurken und Senfgurken seien das gleiche nur unter verschiedenen Bezeichnungen,
so war es für einen jungen Gesellen nahezu selbstmörderisch, weiterhin die Ansicht
zu vertreten, Gewürzgurken und saure Gurken seien das gleiche, Delikateß- und
Senfgurken seien indessen voneinander und von Gewürzgurken verschieden. Am ehesten
konnte in dieser Situation noch ein Lehrjunge die revolutionäre Behauptung aufstellen,
lediglich Salzgurken seien eine Sache für sich, alle anderen Gurken aber bereite
man auf die völlig gleiche Art und Weise zu, mit dem einzigen kleinen Unterschied,
daß einmal dieses, einmal jenes Gewürz vorherrsche. Eine ehrliche und aufrichtige
Diskussion war eigentlich nur unter mehreren Gesellen gleicher Rangordnung möglich,
doch bestimmten hier wiederum private, persönliche Sympathien und Antipathien
das Bild. Sobald sich zu einem Junggesellen ein Altgeselle schlug oder zu einem
Altgesellen ein Vorarbeiter oder gar ein Polier - stets gab es Kollegen, die
sich auf die Seite schlugen, die auf dem Wege zum Siege zu sein schien und den
eigenen Standpunkt in spielerischer Eile aufgaben. Es gehörte schon erhebliche
Courage dazu, dann bei der eigenen Meinung zu bleiben, auch wenn sie falsch
war. Am schwierigsten war es, wenn die Klempner einmal geschlossen gegen die
Maurer standen. Hätte hier ein Maurer die Meinung der Klempner vertreten oder
umgekehrt, so wäre es um ihn in seiner Firma wahrscheinlich geschehen gewesen.
Eigentlich frei in seiner Meinung war nur der Baustellenleiter, wenn er sich
einmal dazu herabließ, eine Mahlzeit auf der Baustelle einzunehmen, was selten
geschah. Er hätte höchstens die Meinung eines Firmeninhabers oder eines Architekten,
vielleicht auch des Bauträgers selbst zu berücksichtigen gehabt. Auf dieser
Basis spielte jedoch die Gurkenfrage keine Rolle mehr. Rottenkopf schlug einmal
vor, die Gurkenfrage auch auf der Arbeiterebene auszuräumen, indem man den Streit
endlich durch Rezeptvergleich und ähnliche objektive Verfahren klärte. Da setzte
er sich aber ganz schön zwischen die Nesseln.
-
(baer)
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