rundstein Im
Mittelalter herrschte unter dem Volke die Meinung: wenn irgend ein Gebäude zu
errichten sei, müsse man etwas Lebendiges schlachten und auf dem Blute
desselben den Grundstein legen; dadurch werde das Gebäude fest und unerschütterlich
stehen bleiben. War es nun der altheidnische Wahnwitz, daß man sich die Gunst
der Götter durch Blutopfer erwerbe, oder war es Mißbegriff der christlichen
Versöhnungslehre was diese Meinung von der Wunderkraft des Blutes, von einer
Heiligung durch Blut, von diesem Glauben an Blut hervorgebracht hat: genug,
er war herrschend, und in Liedern und Sagen lebt die schauerliche Kunde, wie
man Kinder oder Tiere geschlachtet, um mit ihrem Blute große Bauwerke zu festigen.
Heut zu Tage ist die Menschheit verständiger; wir glauben nicht mehr an die
Wunderkraft des Blutes, weder an das Blut eines Edelmanns noch eines Gottes,
und die große Menge glaubt nur an Geld. Besteht nun die
heutige Religion in der Geldwerdung Gottes oder in der Gottwer-dung des Geldes?
Genug, die Leute glauben nur an Geld; nur dem gemünzten Metall, den silbernen
und goldenen Hostien, schreiben sie eine Wunder kraft
zu; das Geld ist der Anfang und das Ende aller ihrer Werke; und wenn sie ein
Gebäude zu errichten haben, so tragen sie große Sorge, daß unter den Grundstein
einige Geldstücke, eine Kapsel mit allerlei Münzen, gelegt werden. -
Heinrich Heine, Die Romantische Schule
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