roßmutter,
geträumte
Dieses Zimmer, das nie ihrer Großmutter gehört hatte, das im Gegenteil der absolute
Gegensatz jedes bekannten Raumes war, in dem ihre Großmutter sich jemals bewegt
oder in dem sie jemals gelebt hatte, war dennoch vollgesogen von der verlorenen
Gegenwärtigkeit ihrer Großmutter, die es in einem fortwährenden Prozeß zu verlassen
schien. Die Architektur des Traumes hatte sie wiedererstehen lassen, für immer
und ewig. Sie floß dahin in langen Gewändern von weichen Falten und Spitzen
bis ans Kinn; die gerafften Überwürfe, aus denen die Schleppe bestand, beschrieben
eine ansteigende Linie über Rücken und Hüften, eine Kurve, die nicht nur gebeugtes
Alter verriet, sondern die Furcht vor gebeugtem Alter gebietet.
Mit dieser Gestalt ihrer Großmutter, die mit der Großmutter
ihrer Erinnerung nicht völlig identisch war, ging eine andere: eine ihrer Kindheit.
An der Hausecke war sie auf diese gestoßen: die Großmutter, die aus irgendeinem
unbekannten Grund wie ein Mann gekleidet war. Sie trug einen steifen Hut und
einen geschwärzten Schnurrbart, war beleibt und lächerlich, in engen Hosen und
roter Weste. Mit ausgebreiteten Armen und einem Blick, lüstern vor Liebe, sagte
sie: »Mein süßes Herz!« - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
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