reul  Die Adelsfrage! Wir sind in allem einig; es giebt entzückende Einzelexemplare, die sich aus Naturanlage oder unter dem Einfluß besondrer Verhältnisse zu was schön Menschlichem durchgearbeitet haben, aber der »Junker«, unser eigentlichster Adelstypus, ist ungenießbar geworden. Als Kunstfigur bleibt er interessant und Historiker und Dichter können sich freun, daß es solche Leute gab und giebt; sie haben einen Reiz wie alles Scharfausgeprägte. Aber was ist damit bewiesen! Alte Geizhälse, alte Weiber die im Kehricht wühlen und wenn sie sterben, einen nicht mit der Kneifzange anzufassenden Unterrock hinterlassen, drin 30.000 Franken eingenäht sind, — alle solche Wesen sind auch interessant und was nach Abruzzen und Mord und Todtschlag schmeckt erst recht; jeder Hochstapler ist novellistisch angesehn ein Gott. Im Uebrigen ist er ein Greul. Und zu solchem Greul entwickeln sich auch die Junker. Je mehr sie überflügelt werden, je mehr sie sich überzeugen müssen, daß die Welt andren Potenzen gehört, desto unerträglicher werden sie in ihren Forderungen; ihre Vaterlandsliebe ist eine schändliche Phrase, sie haben davon weniger als andre, sie kennen nur sich und ihren Vortheil und je eher mit ihnen aufgeräumt wird, desto besser. Der x beinige Cohn, der sich ein Rittergut kauft, fängt an, mir lieber zu werden als irgend ein Lüderitz oder Itzenplitz, weil Cohn die Zeit begreift und alles thut, was die Zeit verlangt, während Lüderitz an der Lokomotive zoppt und »brr« sagt und sich einbildet, sie werde still stehn wie sein Ackergaul.  - Theodor Fontane an Georg Friedlaender, 14. Mai 1894
 
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