rausamkeit
Der Egoistenklub ist einer der genialsten Orte in London. Dorthin
kann man seine Schritte lenken, wenn man das Bedürfnis hat, den seltsamen
Traum der vergangenen Nacht zu erzählen oder der Mitwelt zu verkünden,
was für einen guten Zahnarzt man entdeckt hat. Man kann dort in Ruhe Briefe
schreiben, wenn man will, oder auch das Temperament einer Jane Austen entfalten;
denn es gibt keinen Raum, in dem Schweigepflicht herrscht. Beschäftigt
oder in Gedanken vertieft zu erscheinen, wenn man von einem anderen Mitglied
angeredet wird, gilt als Verstoß gegen die Klubetikette. Zwei Gesprächsstoffe
sind allerdings tabu: Golf und Fischen. Und wenn der Antrag des Hon. Freddy
Arbuthnot bei der nächsten Ausschußsitzung durchgeht, dann darf auch das
Thema Radio nicht angeschnitten werden. Im übrigen
ist der Klub nicht besonders exklusiv. Niemand ist von vornherein ausgeschlossen
mit Ausnahme von starken, schweigenden Männern. Die Kandidaten müssen jedoch
bestimmte Proben bestehen. Welcher Art diese Proben sind, geht daraus hervor,
daß ein gewisser hervorragender Forscher nicht aufgenommen wurde, weil
er eine sehr starke Trichnopoly-Zigarre annahm und sie zu einem 63er Portwein
rauchte. Dagegen wurde der gute alte Sir Roger Bunt (der Hökermillionär,
der das Preisausschreiben einer Sonntagszeitung in Höhe von zwanzigtausend
Pfund gewann und damit einen ungeheuren Restaurationsbetrieb in den Midlands
begründete) sehr gerühmt und einstimmig gewählt, nachdem er offen erklärt
hatte, daß ihm in dieser Hinsicht Bier und eine
Pfeife völlig genügten. Wie Lord Peter bemerkte:
«Niemand macht sich etwas aus Roheit, - aber
bei Grausamkeit muß man die Grenze ziehen.» - Dorothy Sayers, Die
Katze im Sack. München 1979 (zuerst ca. 1930)
Grausamkeit (2) Nichts empört so im tiefsten
Grunde unser moralisches Gefühl, wie Grausamkeit. Jedes andere Verbrechen können
wir verzeihen, nur Grausamkeit nicht. Der Grund hievon ist, daß Grausamkeit
das gerade Gegentheil des Mitleids ist. Wenn wir von
einer sehr grausamen That Kunde erhalten, wie z. B. die ist, welche eben jetzt
die Zeitungen berichten, von einer Mutter, die ihren fünfjährigen Knaben dadurch
gemordet hat, daß sie ihm siedendes Oel in den Schlund goß, und ihr jüngeres
Kind dadurch, daß sie es lebendig begrub; - oder die, welche eben aus Algier
gemeldet wird, daß nach einem zufälligen Streit und Kampf zwischen einem Spanier
und einem Algierer, dieser, als der stärkere, jenem die ganze untere Kinnlade
rein ausriß und als Trophäe davon trug, jenen lebend zurücklassend; - dann werden
wir von Entsetzen ergriffen und rufen aus: »Wie ist es möglich, so etwas zu
thun?« - Was ist der Sinn dieser Frage? Ist er vielleicht: wie ist es möglich,
die Strafen des künftigen Lebens so wenig zu fürchten? - Schwerlich. - Oder:
Wie ist es möglich, nach einer Maxime zu handeln, die so gar nicht geeignet
ist, ein allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen zu werden? -Gewiß nicht.
- Oder: Wie ist es möglich, seine eigene und die fremde Vollkommenheit so sehr
zu vernachlässigen? - Eben so wenig. - Der Sinn jener Frage ist ganz gewiß bloß
dieser: Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu seyn? - Schopenhauer,
Preisschrift Über die Grundlage der Moral