ras  WAS nun die Wände von Fleisch angeht, worin die Seele bis zur Auferstehung eingemauert scheint, so sind sie nichts weiter als eine Verbindung der Elemente, die wieder zu Asche zerfallen muß. Alles Fleisch ist Gras: in diesem Wort steckt nicht nur metaphorische, sondern auch buchstäbliche Wahrheit; denn alle Kreaturen, die wir sehen, sind eigentlich nur die Kräuter des Feldes, zu ihrem Fleisch verwandelt oder auf Umwegen zum unseren inkarniert. Mehr noch, wir sind eben das, wovor wir alle Abscheu haben, Anthropophagi und Kannibalen, die wir nicht nur andere Menschen, sondern uns selbst verschlingen, und dies nicht etwa im allegorischen, sondern im tatsächlichen Sinn des Wortes: denn die Menge Fleisch, die wir an uns sehen, kam durch unseren eigenen Mund herein; die leibliche Gestalt unter unseren Augen ist in unseren eigenen Schüsseln aufgetragen worden; kurzum, wir haben uns selbst vertilgt [und doch leben wir und bleiben wir selbst].  - Sir Thomas Browne, Religio medici. Berlin 1976 (zuerst 1642)

Gras (2)

LEBE WIE GRAS

Und das Gras wandert über die Welt,
von den Flüssen unter dem Wind der breiteste und grünste.
Immer ist das Gras unterwegs,
die Hüften der Berge hinauf, in die schlafenden Städte hinein,
über Brachland, Savannen, Steppen,
wo der Kentaur nie überwunden wurde,
wo die Weite unter den Hufen der Pferde trommelt,
unter schiefäugigem Mond die Milch im Filzzelt gärt.
Das Gras
trägt den Sturzregen auf Myriaden Rücken
und hält den Boden mit zahllosen kleinen Zehen.
Das  Gras  spannt furchtlos seine  dünnen Finger
um einen Totenkopf.
Das Gras arbeitet rastlos, zaudert nie,
sich Wege zu sprengen, über Gestein zu klettern,
und seine Antwort auf jede Gewalt ist Wachsen.
Das Gras liebt die Welt wie seinen Halm,
glücklich noch an grauen Tagen.
Das Gras, es strömt im Festverwurzeltsein,
es fließt im Stehen dahin,
vielfältig immer, doch beieinander und eins.
Das Gras folgt dem Menschen als Weggefährte
und verbeugt sich vor der Erinnerung, die ins Vergessen eingeht.
Das Gras hat das Horn des Einhorns gebettet
und die Axt des Indianers,
es wächst als schützende Wimper um Quellen
und zeichnet mit hohen dunklen Büscheln
die Konturen von Tieren, die der Blitz getötet.
Die wilde Maus
zieht einen Scheitel von Schauern durch das Gras,
das grenzenlose Gras,
das der Erde dient und gleichermaßen den Tieren,
das durch Feuer oder Kälte stirbt,
immer wieder aber sich erhebt
und nie davon träumt, Zahn oder Messer zu sein:
lebe wie Gras.

- Artur Lundkvist, nach (frach)

Pflanzen

 

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