ranattrichter   Der Trichter ist wie ein Krater von einer dicken, milchweißen Wolke erfüllt. Ein Rudel von schattenhaften Gestalten klimmt die steilen Wände hinan, und ich sehe sie oben, tief gebückt, nach allen Seiten in die Dunkelheit jagen. Ganz im Grunde strahlt eine magische Beleuchtung, ein Licht in stechendem Rosa auf. Das ist die Maschinengewehrmunition, die mit langen Stichflammen verbrennt, vermischt mit dem Sprühlicht der Leuchtgeschosse aus den Patronentaschen. Aber was ist das, was sich da unten in dieser rötlichen Glut vielfältig und schwerfällig wälzt, als ob es entfliehen möchte und durch eine teuflische Kraft an den Boden gebunden wäre? Dieses Gewühl von Leibern, das sich windet wie Amphibien in einem kochenden See, wie die Verfluchten in einer Danteschen Vision? Das Herz möchte dieses Bild von sich abwenden, und nimmt es doch mit allen Einzelheiten in sich auf.

Das sind die Schwerverwundeten. Und jetzt, erst jetzt, nach dieser Ewigkeit von zwei Sekunden scheinen sie zu begreifen, was geschehen ist. Ein schreckliches, vielstimmiges Geschrei bricht los, heiser und schrill, langgezogen und abgerissen, ein hundertstimmiger Aufruhr aus einem einzigen Grauen heraus. Keine Worte, nur Töne, aber Töne, wie sie vor allen Worten sind, und die wie wilde Tiere durch das Gitter springen, das uns sonst von diesen Reichen trennt.

Das ist zuviel! Ich springe hoch und rase in die Dunkelheit.

Ich renne durch die Trichter und stürze über Gräben hinweg, als wenn der Satan hinter mir säße. Ich habe jede Besinnung verloren und finde mich nach einer Zeit, über die ich kein Urteil besitze, in einem Granatloch wieder, in das ich der Länge nach geschlagen bin. Das Feuer tanzt vor den Augen, und in den Ohren braust das Blut. Ich will meine Ruhe haben, an nichts denken und auf dem Rücken liegend in die Höhe starren, in die rötlichen Wolken, die niedrig über die dunkle Erde ziehn. - Ernst Jünger, Feuer und Blut. Hamburg 1929

Granattrichter ⁽²⁾

Granattrichter mit Blumen (Frühling 1916)

- Otto Dix (1924)