Da rührte ganz plötzlich ein himmlischer Auftrag ihren zum Platzen gefüllten Leib. Dies Rühren war so göttlich rasch erfüllt, daß es geschah, eh es zeitlich begann.
Die Granate ahnte freilich nichts, schrie weiter Hui Hui Hui, weg da ihr Lüfte, nun komm ich Hui Hui. Aber die Lüfte peitschten ihr hämisch um die rotunterlaufenen, glühend verärgerten Ohren, so durchlief dieses allerletzte Geschoß des Weltkrieges seine vorberechnete stratosphärische Höhenscheide, senkte die Spitze zurück zur Erde tief unten, fiel immer tobender gegen die Erde hinab, von der sie rasend hochgeschleudert ward zum Zweck, sich um so tiefer einzustoßen.
Jetzt schlug sie in die Erde wild, unbändig und unbeschreiblich ein, explodierte befehlsgemäß und selbstverständlich pünktlich auf Sekunden.
Die wachsamen Soldaten hörten sie noch vordem und aus den Lüften, sie duckten sich, wie es ja ihre Sache war, dann schrie die aufgesprengte Erde, bäumte sich ergrimmt und prasselte taub hernieder auf die Soldaten, indes das Gebrüll verrauschte, der Blutregen versiegte.
Ein menschlich vielfältiges Wimmern kroch aus dem Erdenloch und hinkte,
hinkte dem verrauschten Brüllen nach, das schon im Weltenraume kreiste,
nachfolgend dem anderen Gebrüll, welches unabreißbar viele Jahre aus der
Erde stieß und aus den Menschen, verflucht und unablässig vor sich selber
weiterfloh, immerwahrend weiterkreiste im Weltall, der Erde zur ewigen
Schande unter dem göttlichen Gestirn. - August Scholtis,
Jas der Flieger. (BS 961, zuerst 1935)
Granate
(2)
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Ein unter dem Namen »Die lebende Granate« bekannter Zirkusstar läßt sich aus einer Kanone in die Luft schießen. Bei einer Vorstellung verpaßte er das Sicherheitsnetz und stürzte zu Tode. |
- Salto. 99 Luftsprünge, Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin
2001 (Wagenbach, Salto 100, Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)
Granate
(3)
In einem Metallrohr mit
spiraligen Zügen werde ich schwindelerregend
fortbewegt, die Arme an den Leib gepreßt und mit dem Kopf
voraus, wie ein von der Explosion des Pulvers
getriebenes Geschoß kreisend durch das gezogene Rohr einer Kanone dringt.
Im Verlaufe dieser Bewegung wird meine Stirn an
der Wand geschliffen wie auf einem Schleifstein. - (
leiris
)
Granate (4)
Der anführer der wache,
kommissär McGurk, den man beim ersten schuß schon aus einer taverne geholt
hatte, schien ein wenig aus dem gleichgewicht zu sein, aber als er meiner
ansichtig wurde, bot er mir brüderlich seine flasche »Jamieson's Usquebaugh«
an, was ich ihm sehr hoch anrechnete, denn der schreck aus frau Lopetzens
unterwasche saß mir noch allzu starck an den mandeln. Mit einem fröhlichen
schluck spülte ich nun all die jüngstvergangene bitter-nis in den tiefen
magen hinab und seiner endgültigen be-stimmung zu. Am hafeneingang sprang
der dritte canonen-donner durch den sammetenen äther. Nicht dadurch, aber
durch die blindheit des menschlichen Zufalls, oder auch durch die brennende
krafft des wie hausgemachten Usquebaughs, stolperte in diesem moment der
berühmte kommissär und fiel langausgestreckt über eine faule gurcke, ein
witz, der von McGurk leider nicht verstanden werden konnte, da dieser des
teutschen keines bröckleins gewaltig ware5. Wir dürften aber hier nicht
vom pfade der Vorgänge abschweiften, dann die linguistik gemeinhin im untersten
polizeiact stecket.
Fahren wir also fort: Als der kommissär hinstürtzte, dachte verständlicherweise seine gesamte mannschafft, es hätte dies nichts andres zu bedeuten, als: Hinlegen, die kugeln ziehen nieder! Und so dachten alle, außer mir, und man warffe sich dahero männiglich in den victualistischen unrat, so hier in großer menge herumlage und den ort verniedlichte, welchen man hafen nennet, und der hier in La Paz, kleinigkeiten ausgenommen, allen andren häfen der weit gleichet.
Jetzo stunde ich da wie der alte held und könig Brian Boru mit nacktem schwert nach irgendeiner mörderlichen schlacht in der ebene von Tara. Um mich, zwischen faulen gurcken und welcker petersilie, lauter in ehren gefallene irländer, verstummt, ach verstummt, die klare, kleegrüne kriegsmusick, am himmel über uns die sonne in schärffster majestät, um uns und in allen ecken das schweigen, das nach jedem canonenschuß so allgemein ist, keine nachtigall, kein windhauch, keine trillerpfeife, keine biene, keine fliege! In summa summarum: Ein großes, ausgewachsenes schweigen!
Da zerbrach das schweigen dieser falschen fenierschlacht durch die detonatio
eines vierten Schusses. Kommissär Alois McGurk torckelte, indem er sich
auf die festigkeit seines shillelagh-knüppels stützte, auf und rief unverständliche
an-weisungen. Die gefallenen erhoben sich wie durch ein feen-hafftes miracul
und schwirrten nach allen richtungen aus, die musickinstrumenter blieben
verlassen auf der wallstatt zurück, blintzelten mit müßigen messingaugen
in den himmel, gaben keinen ton von sich, und das ist nur zu verständlich,
denn der teuffei mag mich holen und hunderttausend Schuhsohlen aus mir
und noch sieben dazu für die sächsischen seediebe fabritzieren, wann ich
jemals eine tromette gehört habe, die nicht von einem menschenmaul wurde
geblasen. Letzteres sagte der wiederaufferstandene kommissär und bot mir
abermals zu trinken an, was ich auch zum zweiten nicht abschluge. Abschlagen,
herrschafften, würde der wackere McGurk sagen, tuet man unter edelleuten
das wasser, nicht aber einen anständigen trunck! Das ist absolutissimo
eine Wahrheit, die mir so leicht eingehet, wie der mordsschluck whiskey,
den ich aus McGurkens flasche tat. Das stille, runde feuerwasser brannte
mir lieblich die gurgel hinab und den übrigen rest exstirpierte der scharffsinnige
politzeiobriste. Darauf räusperten wir uns und sahen in die runde, in deren
ecken und winckeln die bewaffnete rumormacht schlacht- und todesbereit
verschwunden war, und warteten der kommenden eventualitäten. Die stille
hob sich jetzo allmählich sozusagen von selber auf, trillerpfeiffen hüpften
schrill und in abständen von schiff zu schiff und von lotsenboot zu lotsenboot,
die seeleute hängten wieder ihre nachtigallenkäfige an fockmasten und bramsegel,
aus den faulen gurcken krochen bis dahin verborgene bienen, und endlich
kam sogar eine fliege geflogen und stach meinen alten freund Alois McGurk
in die rote nase. -
H.C.Artmann
,
Der aeronautische Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien
nach Crain. Ein fragment von dem Autore selbst aus dem yukatekischen anno
1958 ins teutsche gebracht sowie edirt & annotirt durch Klaus Reichert. München
1975 (dtv 1067, zuerst 1958)
Granate
(5)
Schließlich
brachte der Mann doch etwas Artikuliertes hervor.
«Der Quartiermeister Barousse ist soeben gefallen, Herr Oberst», bringt er zusammenhängend heraus.
«Und?»
«Er ist gefallen, als er auf der Straße von Etrapes um den Brotwagen ging, Herr Oberst!»
«Und?»
«Eine Granate hat ihn zerrissen!»
«Und was weiter, in Teufels Namen!»
«Sonst nichts, Herr Oberst!»
«Das ist alles?»
«Ja, das ist alles, Herr Oberst!»
«Und das Brot?» fragte der Oberst.
Das war das Ende des Dialogs, denn ich erinnere mich genau, daß er gerade noch Zeit hatte zu sagen: «Und das Brot?» Dann kam nichts mehr. Nachher war nur Feuer und Lärm dazu. Aber so ein Lärm, wie man sich ihn nie hätte denken können. Augen, Ohren, Nase, Mund waren auf einmal so voller Lärm, daß ich wahrhaftig glaubte, es sei zu Ende, ich wäre selbst zu Feuer und Lärm geworden.
Aber nein, das Feuer verschwand, der Lärm blieb noch lange in meinem Kopf, die Arme und Beine zitterten, als ob sie jemand von hinten schüttelte. Meine Glieder sahen aus, als ob sie mich verlassen wollten, und dann blieben sie doch bei mir. Mit dem Rauch, der noch lange in die Augen stach, blieb der scharfe Geruch des Pulvers und des Schwefels, als wollte man die Wanzen und die Flöhe der ganzen Welt vertilgen.
Gleich nachher dachte ich an den Quartiermeister Barousse, der eben zerrissen worden war, wie der andere berichtet hatte. Das war eine gute Neuigkeit. ‹Großartig!› dachte ich sofort, ‹da ist ein feines Aas weniger im Regiment!› Er hatte mich wegen einer Konservenbüchse vors Kriegsgericht bringen wollen. ‹Jedem seinen eigenen Krieg !› sagte ich mir. In dieser Beziehung, das muß man zugeben, schien er von Zeit zu Zeit zu etwas gut zu sein, der Krieg! Ich kannte noch so drei oder vier im Regiment, verdammte Schweinehunde, denen ich sehr gern dazu verhelfen hätte, zu ihrer Granate zu finden, wie Barousse.
Was den Oberst anlangt, dem wünschte ich nichts Böses. Er war indes auch tot.
Zunächst sah ich ihn nicht mehr. Das kam daher, weil er durch die Explosion
auf die Böschung geschleudert worden war, auf die Seite hingestreckt und in
die Arme des Kavalleristen zu Fuß, des Boten, geworfen, der auch erledigt war.
Sie umarmten sich, die zwei, für Zeit und Ewigkeit, aber der Kavallerist hatte
keinen Kopf mehr, nur noch eine Öffnung über dem Hals, mit Blut darinnen, das
gluckste und brodelte wie Eingemachtes in einem Kochtopf. Der Oberst hatte den
Bauch offen, er schnitt eine abscheuliche Fratze darüber. Es hatte ihm wohl
tüchtig wehgetan, als es geschehen war.
- (
reise
)
Granate
(6) Hoch über mir hörte ich
den nervenzerrüttenden Lärm, mit dem die Granaten gedreht wurden. Granaten,
Granaten, eine Unzahl von Granaten, säuberlich in handlichen Kisten aufgereiht,
Granaten, die allesamt das Aussehen rötlich gelber, praller Eicheln hatten,
auf steifen Männerschwänzen, Granaten, Granaten, homosexuelle Granaten auf Schwänzen
von bananenfarbenem Messing, die alle durch die sanften Hände der gefangenen
Frauen gegangen waren, die über mir arbeiteten in dem Lärm, der meinen Geist
pulverisierte ... metallharte Schwänze in den ölweichen
Händen der Weiber: ich,
in meinem Keller, war ausgeschlossen
davon. Und endlich war ich ausgeschlossen von der wüsten Lust, die der Anblick
der Granaten in den Köpfen der Frauen zeugen mochte, und die sie in der streichelnden
Sanftmut ihrer liebesgewohnten Hände den fürchterlichen Organen mitteilten,
wenn sie sie, in Packungen à zwanzig Stück, aufrichteten, und die Mitteilung
dieser Lust hieß: Tod den Männern. - (
hilb2
)
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