Gralsträume   Während der letzten mindestens fünftausend Jahre ging der ewige Kampf zwischen den Freunden und tödlichen Feinden des Grals weiter - jenes Bruchstück des Außerzeitlichen, das durch einen Riß im Weltendach auf den Zeitboden gefallen war.

Der  Gral war  mittlerweile zu einem  magnetischen Anziehungspunkt aller Religionen geworden, die Glastonbury jemals nahe gekommen waren. Als Splitter des Absoluten zog er diese verschiedenen Kulte mit einer fast grausamen Gleichgültigkeit gegenüber ihren Abweichungen voneinander an. So war der innere Drang in Philip und John, die heute nacht ihre Seelen antrieben, auf mörderische Gralsjagd zu gehen, so blind und übermächtig wie jener, der Pellenor dazu trieb, sein Suchendes Untier zu verfolgen.

Weder Nancy noch Elphin, jene Fenstergucker auf der Rückseite der High Street und des Viehmarkts, merkten etwas von dieser gewaltigen mêlée sich bekriegender Träume, die mit dem Banner des Grals auf der einen und der Oriflamme der Vernunft auf der anderen Seite tobten und wogten. Von jenem Sturmwind umhcrgewirbelt, der zwischen den drei Hügeln Glastonburys strudelte und trudelte, jagten diese sich feindlichen Traumscharen dahin. Jeder Träumer unter diesen verschiedenen Dächern - von den Schieferdächern An den Ulmen, wo Philip in seinem stickigen Zimmer lag, bis zu dem zugigen Heuboden vom St. Michael's, unter dem Solly Lew seinen Rausch ausschlief- war an jenem zehnten Dezember gezwungen, seinen persönlichen Traum mit diesem großen nächtlichen Turnier zu vermengen.

John Crow träumte, daß sie den Gral auf dem Chalice Hill gefunden, ihn etwa sechs Fuß nördlich des Brunnens in der Erde gefunden hatten; doch als der Gral gefunden war, verwandelten sich alle Anwesenden in einen Schwarm Stare und flogen davon, ließen nur ihn und jene philosophische Holzlaus zurück, deren Begegnung mit der Filzlaus der krebskranken Frau er sich vorgestellt hatte. Und er selbst bekam nun das dringende Bedürfnis, Wasser zu lassen, dabei wußte er doch, daß diese Holzlaus ertränkt würde, wenn er auf die Erde pinkelte. Also pißte John in den heiligen Gral. Als er mit diesem gotteslästerlichen Sakrileg fertig war, bemerkte er, daß die Holzlaus auf den Rand des Gefäßes gekrabbelt war. »Was tust du denn da?« schrie John voll Entsetzen. »Mich ertränken«, erwiderte die Laus.

Doch wenn jener heftige Wind aus dem Westen die Träume von Männern störte, erwies er sich für die Träume von Frauen als nicht weniger störend. Perscphone träumte, daß ihr aus den Füßen und Schultern grüne Blätter wuchsen und sie splitternackt inmitten einer Gruppe von silberhäutigen Birken stand, die alle schlanke nackte Mädchen waren wie sie und denen grüne Blätter aus Köpfen und Füßen wuchsen. Nahe bei dieser Gruppe, wo Persephone stand, wuchs jener unbestimmbare Baum vom Kamm des Wirral Hill, dem Mary einen, Mr. Evans einen anderen und Mad Bet noch einen anderen Namen gegeben hatte. Auf einmal sah Persephone, wie alle Mädchen sich dem Baum zuwandten, die Hände hoben und einen Gesang für ihn anstimmten. Was sie sangen, war pures Gefasel, doch Persephone erinnerte sich beim Aufwachen an dieses Gesäusel, das wie folgt ging:

»Dominus-Glominus, säe dich aus!
Säe dich aus, säe dich aus!
Glominus-Dominus, Tau und Regen!
Tau und Regen, Tau und Regen!
Wir dienen, dir sei zu ruhen erlaubt!
Ruhen erlaubt, ruhen erlaubt!
Die einen am Fuß und die ändern am Haupt,
Doch wer von uns wird sich neben dich legen?«

Dieses Gesäusel war zweifellos eine Erinnerung an irgendeinen sehr alten, stets wiederkehrenden Kinderreim aus einem dieser uralten Spiele, die kleine Mädchen so gerne zusammen spielen, wobei sie sich an den Händen fassen und sich tanzend vor und zurück wiegen, was jedem zufälligen Betrachter so geheimnisvoll vorkommt wie die phantastischen Begleitworte dazu. Doch wenn dies Persephone auch von einem halbvergessenen Spiel ihrer Kindheit wieder in den Sinn gekommen war, waren in ihrem Traum doch Zeilen hinzugefügt, die kaum zum ursprünglichen Wortlaut gehört haben konnten und die zum Wesen dieser stürmischen Nacht brackig riechenden Wessex-Windcs besser paßten als zu irgendeinem harmlosen Ringelreihen auf einem Norfolk-Rasen. Merkwürdig war, daß in Persephones Geist unterm Träumen eine jener wirren Metamorphosen passierte, die so oft Träume derart verblüffend und irreführend machen -nämlich die Verwechslung dieses zweideutigen Baums mit einem Kreuz.

Die Träume des Bürgermeisters von Glastonbury an diesem zehnten Dezember waren zum Beispiel voller alptraumhafter Verschmelzungen seiner Tochter Crummie mit Merlins schicksalhafter Nineue, wie auch der von Nineue und Crummie mit Lady Rachel Zoyland.

Auch die Träume des Pfarrers von Glastonbury waren nicht weniger verstörend. Mat Dekker träumte, daß er zu Nell Zoyland ins Krankenhaus kam,  wo er sie tatsächlich bereits dreimal besucht hatte, und ihr das heilige Sakrament spendete; etwas, nach dem er sich oft gesehnt hatte, dessen Ausführung er aber nie vorzuschlagen gewagt hatte. Er war schon dabei, ihr den Kelch an die Lippen zu setzen, als dieser in seinen Händen so schwer wurde, daß er ihn kaum noch heben konnte. Der Kelch hatte sich tatsächlich in Mutter Legges silberne Schale verwandelt - oder eher Kitty Camels silberne Schale -, die Mat Dekker selbstverständlich vertraut gewesen war, bevor sie in das Eigentum der gegenwärtigen Besitzerin überging. Immer weißer wurde dieser Opfcrkelch, während der Geistliche im Traum mit ihm rang. »Ich muß ihn festhalten«, dachte er, »ich muß ihn an mich drücken.« Dann geschah eine ähnliche Metamorphose, wie sie in Pcrcys Traum stattgefunden hatte, nur in umgekehrter Richtung; denn während bei Percy der Baum sich in das Kreuz verwandelt hatte, wurde bei Mat Dekker aus dem Gral Nell Zoyland. So tief war das Ringen mit seiner Leidenschaft für dieses Mädchen in den majestätischen Charakter dieses Mannes gedrungen, daß er bis heute nacht sogar der Versuchung in seinen Träumen widerstanden hatte. Doch in dieser Nacht widerfuhr ihm eine jener Begebenheiten, in der die große Schöpfernatur es schafft, die stärkste Selbstbeherrschung zu überlisten. Die Natur erreichte ihr Ziel, indem sie Mat Dekkers Gemüt das Gefühl einflößte, daß er um jeden Preis diese weiße Schüssel fest und eng an sich drücken müßte, damit er keinen Tropfen von Christi Blut verschüttete. Doch als er sie im Traum hielt und sie zum Körper des Mädchens wurde, nach dem er sich so schrecklich sehnte, schaffte es die Natur, Mat Dekkers unerbittliches Gewissen so zu betäuben, zu berauschen, zu trüben, zu verwirren, zu umwölken, zu hypnotisieren, zu paralysieren und sonstwie zu »metagrabolisieren«, daß sie ihm gestattete, sich aus vollem Herzen den Zuckungen eines so vollkommenen Liebesakts hinzugeben, daß es dem armen asketischen Geistlichen vorkam, als würden die Pforten des Himmels aufgetan!   - (cowp)

Gral Traum

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