rabrede  Genau an der Grenze zwischen den reichen und den armen Gräbern kletterte Bandura, ein wenig schwankend, auf ein hohes Podium von schwarzen Marmorplatten (ein Bronzeengel hebt einen Kranz über eine längst tote, kleine Verblichene) und hält vor der barhäuptigen und still gewordenen Menge von Matrosen und grell geschminkten Prostituierten die Grabrede. Er erzählt kurz und schematisch Mariettas Biographie: das mühsame Leben eines Proletenkindes, die Mutter eine Waschfrau, der Vater ein verkommener Mensch, der sein Leben in Marseiile als Lastträger beendet hatte. Und während der Matrose und Revolutionär Bandura, mit einem Würgen in der Kehle und gesprungener Stimme, versucht, seine Grabrede, diese traurige Bilanz eines unglücklichen Lebens, in den Rahmen der sozialen Ungerechtigkeit und des Klassenkampfes zu pressen, Worte des Hasses aussprechend, als lese er Bakunin, kann er es nicht vermeiden, in sich selbst die lebendigen Bilder dieses Lebens zu verfolgen, als blättere er in einem altertümlichen Album. (Und ich glaube, daß sich mit diesen Bildern unbemerkt auch die Erinnerung an die eigene Kindheit vermengt haben wird.) Ein Souterrain in krankhaftem Halbdunkel, alles im Rauch von Zigaretten und dem Gestank von Wein und Anisette; peinliche Szenen, Familienstreit, Schlägereien, Geschrei, Gejammer; Wanzen werden verbrannt und knacken in der Fackel aus angezündetem Zeitungspapier, während der Flammenschein die schon rußigen Verbindungen und Riefen der eisernen Soldatenbetten beleckt; das affenartige Lausen der Haare am Abend, im Licht der flackernden Lampe, die Kinder beugen sich vor, das eine vor dem anderen, und decken an den Wurzeln der blonden und schwarzen Schöpfe die Trauben der Nissen auf; Mutters vom Waschen geschwollene Hände, wie gekochte Fische ...

Seine Rede am offenen Grab wird mitunter vom kurzen hysterischen Aufstöhnen der älteren Huren unterbrochen (niemand spürt die Vergänglichkeit des Fleisches und die Katastrophe der drohenden Zersetzung schmerzhafter als sie).  - (kis)

Grabrede (2)
 
Bei dem Grabe eines Mannes, der mit einem Regenschirm erstochen wurde.

1. Hier schlummert eines Mannes Leiche,
Und modert in der Todtenbahr,
Der selbst durch seine bösen Streiche
Die Ursach seines Todes war.
Er war der Trunkenheit ergeben
Der Spötterey und Händelsucht,
So ward von seinem bösen Leben
Sein früher Tod die böse Frucht.

2. Er wollte dennoch sich vermählen,
Und suchte eines Mädchens Hand,
Allein er mußte lange wählen,
Bis er das Unglücksopfer fand:
Denn wo man seine Bosheit kannte,
Da war vergeben seine Wahl,
Er kam, als er sich weiter wandte,
Zuletzt ins schöne Illerthal.

3. Da fand er nun ein schönes Mädchen
Von schlankem Wuchs und schwarzem Haar,
Das fleißig, wie am Spinnerädchen,
In jedem Hausgeschäfte war;
Besonders war in ihrer Jugend
Sie voll der Eingezogenheit,
Und weihte sich der wahren Tugend
In unbefleckter Reinigkeit.

4. Sie hoffte nun ihr Glück zu machen
Mit diesem Mann im Ehestand,
Doch ihrer Hoffnung Stützen brachen
Nachdem sie sich mit ihm verband;
Er wallte nach gewohnter Weise
Beständig auf der Lasterbahn,
Genoß zu viel von Trank und Speise,
Und fieng mit andern Händel an.

5. Zwar wollte ihn sein Weib bekehren,
Allein er gab ihr kein Gehör,
Verloren waren ihre Lehren;
Und ach! wie fiel es ihr so schwer!
Denn als sie öfter dessetwegen
Ihn doch um seine Bessrung bath,
So wurde sie mit vielen Schlägen
Mißhandelt für den guten Rath.

6. Sie mußte nun geduldig leiden,
Was nimmermehr zu ändern war,
Um seine Schläge zu vermeiden,
Und jede tödtliche Gefahr;
Sie schwieg daher zu der Verblendung,
Die seinen Seelenblick umfieng,
Und zu der thörichten Verschwendung,
In der ihr Wohlstand untergieng,

7. Sie weinte bitter manche Stunden
Und Niemand weinte tröstend mit,
Und immer bluteten die Wunden,
Woran ihr armes Herze litt;
Denn ach! sie klagte ihre Schmerzen
Vertrauenvoll nur Gott allein,
Und wagte keinem andern Herzen
Zu klagen ihrer Seele Pein.

8. Sie konnte keine Stund mehr schlafen,
Und die Verdauung war gestört,
Und durch die Leiden, die sie trafen,
Ward ihr so starker Leib verzehrt:
Denn ach! es kam in ihre Seele
Kein sanfter Hoffnungstrahl zurück,
Und in der ausgeweinten Höhle
Versank ihr düstrer Thränenblick.
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9. So lag sie einmal ohne Schlummer
Die ganze Nacht im höchsten Schmerz,
Und wie ein Wurm zerfraß der Kummer
Ohn’ Unterlaß ihr armes Herz;
Der Mann war wieder ausgeblieben,
Wie öfter schon, die ganze Nacht,
Um besser ihre Furcht zu üben
Vor einer derben Schlägetracht.

10. Es schwand die Nacht, es kam der Morgen,
Allein der Mann kam nicht zurück;
Da sah mit ahnungvollen Sorgen
Entgegen ihm ihr Jammerblick.
Sie fieng nun ängstlich an zu beben,
So lange blieb er niemal aus;
Es ward ihr bange für sein Leben:
Sie suchte ihn von Haus zu Haus.

11. Sie fragte seine Spießgesellen:
Wo doch ihr Mann geblieben sey,
Die unverholen ihr erzählen
Von einer kleinen Schlägerey,
Die unter Wegs sich zugetragen,
Veranlaßt durch Betrug im Spiel,
Und wie er, weil er sie geschlagen,
Durch einen Stoß zu Boden fiel.

12. Er sey bald wieder aufgestanden,
Hab zu verfolgen sie gesucht,
Sie aber nimmermehr zu Handen
Bekommen auf der schnellen Flucht.
Sie konnten es beinah nicht fassen,
Daß er nicht heim gekommen sey;
Er werde leicht sich finden lassen,
Und standen ihr beim Suchen bei.

13. Sie suchten ihn den ganzen Morgen,
Und fanden ihn am Nachmittag
In eines Waldes Nacht verborgen,
Wo er an einem Stumpen lag.
Doch welch ein Anblick! Blut entstellte
Das schwer verwundete Gesicht,
Und zu der Schmerzensqual gesellte
Sich Mangel an Verstandeslicht.

14. Man säumte nicht, ihn heimzutragen,
Und rief sogleich den Arzt herbei,
Der nicht ermangelte, zu sagen:
Daß tödtlich er verwundet sey.
Man brauchte zwar der Mittel viele,
Um zu entfernen die Gefahr,
Allein sie führten nicht zum Ziele,
Weil sein Gehirn verletzet war.

15. Er wurde von der Wuth der Schmerzen
In seinem schwer verletzten Haupt,
Im Kampfe mit gesundem Herzen
Der Rettungshoffnung ganz beraubt:
Denn leider nahm die Hirnentzündung
Unwiderstehlich überhand,
Wodurch am Ende die Verbindung
Der Seele mit dem Leib verschwand.

16. So starb der Mann an seinen Wunden,
In seiner beßten Lebenskraft,
Und hatte seinen Tod gefunden
Im Sturme wilder Leidenschaft;
Denn hätte er nach Lib’ und Frieden,
Wie Jesus uns befiehlt, gestrebt,
So hätte er vielleicht hienieden
Noch fünfzig Jahre lang gelebt.

17. Man untersuchte die Geschichte,
Und fand das Übel unheilbar,
Weil ihm die Wunde im Gesichte
Bis ins Gehirn gedrungen war;
Sein Gegner hatte in der Hitze
Des Streites ihm, ganz unbedacht,
Mit harter Regenschirmes Spitze
Die Todeswunde beigebracht.

18. So geht es öfter bei Gesellen
Der Sauf- und Spiel- und Händelsucht
Und öfter ist, wie bei Duellen,
Der Tod hievon die böse Frucht;
Drum hüte dich vor diesen Fehlern,
Und meide Spiel und Trunkenheit,
Entziehe vielmehr deinen Quälern
Durch Fliehen die Gelegenheit.

19. Befolge treulich Jesu Lehren,
Und biethe, schlägt man dich sogar
Ins Angesicht, statt dich zu wehren,
Es nocheinmal zum Streiche dar;
Verzeih die Unbild deinen Brüdern,
Neun hundert neun und neunzigmal,
Anstatt dieselbe zu erwiedern
Durch eine noch so große Qual.

20. Und will mit dir dein Bruder rechten
Um deinen Rock, so sei bereit,
Anstatt mit ihm darum zu fechten,
Zu geben ihm dein Oberkleid:
Dann seydt ihr eures Vaters Kinder;
Er läßt den milden Sonnenschein
Und Regen dem verstockten Sünder,
Wie dem Gerechten angedeihn.

21. Ja, liebe wie dich selbst den Nächsten,
Verzeih dem Feinde seine Schuld;
Lieb über Alles Gott den Höchsten,
Dann wird dir seine Gnad und Huld;
Dann kannst Du hoffnungvoll erblassen,
Und froh dem Tod entgegensehn,
Gott wird dir deine Schuld erlassen,
Und ewig dich begnadigen.

22. Allein was kann ein Sünder hoffen,
Der immer sich zu rächen sucht?
Er wird, wenn ihn der Tod getroffen,
Bei Gottes Richterstuhl verflucht:
Hinweg von mir, Vermaledeiter!
So ruft ihm Gott im Grimme zu,
Du bist als unversöhnter Streiter
Beraubt der ewig wahren Ruh.

23. Jedoch, wir wollen nicht verdammen
Den armen Bruder hier im Grab,
Und hoffen: daß der Hölle Flammen
Gott ihn zur Straf nicht übergab:
Wir wollen vielmehr für ihn bethen,
Daß Gott ihm eine Schuld verzeih,
Und ihn von jeder Qual zu retten
Voll Gnad und Huld bereitet sey.

24. Sein Unglück aber soll uns lehren,
Stets gegen Feinde mild zu seyn,
Und wenn wir schwer beleidigt wären,
Denselben dennoch zu verzeihn,
Und nur durch Wohlthun uns zu rächen
An unseren Beleidigern,
Dann wird einst unser Richter sprechen:
Geh in die Freude deines Herrn!

- Michael von Jung, Melpomene oder Grablieder

Grabrede (3)  Als der Sarg ins Grab hinuntergelassen wurde, schrie die Frau: »Laßt mich zu ihm!«, allein sie sprang nicht ins Grab ihres Mannes, da sie sich vermutlich an seine Pension erinnerte. Sapoikin wartete, bis alles rings sich beruhigt hatte; dann aber trat er vor, musterte die Anwesenden und begann:

»Darf ich meinen Augen und Ohren trauen? Ist nicht ein furchtbarer Traum nur dieses Grab, diese verweinten Gesichter, dieses Stöhnen und Klagen? Ach, es ist kein Traum, und nicht betrügen uns die Augen! Jener, den wir noch vor kurzem so frisch, so voll jugendlicher Munterkeit und Reinheit mit unsern Augen gesehen haben, der gleich einer unermüdlichen Biene seinen Honig zu den gemeinsamen Waben der staatlichen Ordnung getragen hat, er, der ... er ist jetzt zu Staub geworden, ist nichts mehr als das Schattenbild seines Wesens. Der unerbittliche Tod legte seine herrische Hand zu einer Zeit auf ihn, als er, trotz seines vorgerückten Alters, noch voll sich entfaltender Kräfte und strahlender Hoffnungen war. Welch unersetzlicher Verlust! Wer wird ihn uns je ersetzen; Zwar haben wir viele vortreffliche Beamte, allein Prokofij Ossipytsch war einzig in seiner Art. Bis in die Tiefe seiner Seele hinein war er seiner Pflicht ergeben, nichts war ihm zuviel, ja nicht einmal des Nachts schlief er, er war uneigennützig und unbestechlich ... Wie verachtete er all jene, die bemüht waren, ihn zu ungunsten der Allgemeinheit zu bestechen, die es versuchten, ihn mit verführerischen Lebensgütern dazu zu bringen, sein Pflichtgefühl zu verraten! Und geschah es nicht etwa unter unseren Augen, daß Prokofij Ossipytsch sein geringes Gehalt an seine ärmeren Kameraden verteilte, und hörten Sie nicht etwa noch soeben das Klagen der Witwen und Waisen, die von seinen Gaben lebten; Völlig seiner Dienstpflicht und guten Werken ergeben, kannte er keine Freuden des Lebens und versagte sich sogar das Glück eines Hausstandes; es ist Ihnen ja bekannt, daß er bis zum Ende seiner Tage Junggeselle war! Und wer wird ihn uns als Kameraden ersetzen; Noch sehe ich vor mir sein glattrasiertes, gerührtes Gesicht, auf dem ewig ein gutmütiges Lächeln war; noch höre ich sie, seine weiche, zärtlich freundschaftliche Stimme. Friede deiner Asche, Prokofij Ossipytsch! Ruhe sanft, du ehrlicher, anständiger Dulder!«

Sapoikin fuhr fort, allein seine Zuhörer begannen zu tuscheln. Seine Rede gefiel allen, sie lockte sogar einige Tränen hervor, aber vieles in ihr war doch zu sonderbar. Zunächst einmal war unverständlich, warum der Redner den Verstorbenen immer Prokofij Ossipytsch anredete, während er doch Kirila Iwanowitsch hieß. Zweitens war allen sattsam bekannt, daß der Verstorbene sein Leben lang mit seiner gesetzlichen Gattin im Kampf gelegen hatte, mithin konnte man ihn doch nicht recht als Junggesellen bezeichnen; drittens aber hatte er stets einen dicken roten Bart getragen und sich zeit seines Lebens nie rasiert, so daß es unverständlich war, warum der Redner sein Gesicht glattrasiert nannte.   - (tsch)

Grabrede (4)   Jäh setzte der Kapiän sich an meine Seite und beugte sich mit ernster Miene gegen meine Bootsbesatzung vor, die gemächlich, mit langen Schlägen weiterpullte und ihn dabei treuherzig ansah. »Kein Schiff hätte sich so gut gehalten«, begann er seine Ansprache mit fester Stimme, nachdem er einen Augenblick krampfhaft geschwiegen und mit bebenden Lippen offenbar nach den passenden Worten für sein stolzes Bekenntnis gesucht hatte.

»Die Brigg war klein, aber sie war gut. Ich hatte keine Angst um sie. Sie war stark. Letzte Reise hatte ich meine Frau und meine beiden Kinder an Bord. Kein anderes Schiff hätte so lange das Wetter ausgehalten, das sie Tag für Tag durchstehen mußte, bis vor vierzehn Tagen die Masten über Bord gingen. Sie war einfach am Ende ihrer Kraft. Ihr könnt es mir glauben. Tage und Tage hat sie für uns ausgehalten, doch sie konnte nicht ewig aushalten. Es war lange genug. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Noch nie ist ein besseres Schiff an einem solchen Tage auf See aufgegeben worden und gesunken- (con)

 

Begräbnis

 

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Verwandte Begriffe
TotenredeNachruf
Synonyme