rab  Ein Offizier der Artillerie, ein Mann von hünenhafter Statur und robuster Gesundheit, ward von einem unlenksamen Pferde abgeworfen und empfing dabei eine so schwere Kontusion am Kopfe, daß er auf der Stelle das Bewußtsein verlor; der Schädel zeigte eine leichte Fraktur, doch stand keine unmittelbare Gefahr zu befürchten. Die Trepanation verlief erfolgreich. Man ließ den Kranken zur Ader und wendete viele andere der gewöhnlichen Mittel zu seiner Erleichterung an. Schrittweis jedoch verfiel er in einen immer trostlosem Zustand der Betäubung, und schließlich hielt man dafür, daß er gestorben sei.

Es herrschte schwüle Witterung, und so begrub man ihn mit unziemlicher Hast auf einem der öffentlichen Friedhöfe. Das Leichenbegängnis fand an einem Donnerstage statt. Am Sonntag darauf wimmelten die Friedhofsgefilde wie üblich von Besuchern, und gegen Mittag erhob sich eine gewaltige Aufregung ob der Erklärung eines Bauern, er habe, derweil er am Grabe des Offiziers gesessen sei, ganz deutlich eine heftige Bewegung der Erde gespürt, grad so, als ringe darunter ein Mensch um sein Leben. Anfänglich zollte man des Mannes Beteuerung nur wenig Aufmerksamkeit, doch sein offenbares Entsetzen und die störrische Verbissenheit, mit welcher er auf seiner Geschichte bestand, übten am Ende ihre natürliche Wirkung auf die Menge. Man schaffte eilends Spaten herbei, und innerhalb weniger Minuten war das, schandbar flach nur ausgehobene, Grab so weit eröffnet, daß der Kopf des beerdigten Offiziers erschien. Er war allem Anschein nach tot; doch saß er nahezu aufrecht in seinem Sarge, dessen Deckel er bei seinen wilden Anstrengungen, sich zu befreien, teilweise emporgedrückt hatte.

Man schaffte ihn nun alsbald in das nächste Hospital, und dort erklärte man, daß er tatsächlich noch am Leben sei, wenn auch in asphyktischem Zustande. Erst nach mehreren Stunden kam er wieder zu sich, erkannte befreundete Menschen und berichtete, in abgerissenen Sätzen, von seinen Qualen im Grabe.

Aus dem, was er erzählte, wurde klar, daß er noch länger als eine Stunde nach seiner Inhumierung das Bewußtsein mußte gehabt haben, lebend zu sein, ehe Ohnmacht ihn überkam. Das Grab war achtlos und locker mit überaus porösem Erdreich gefüllt worden; und so hatte notwendigerweise etwas Luft Zutritt. Er hörte die Schritte der Menge zu seinen Häupten droben und mühte sich seinerseits, sich ihr vernehmlich zu machen. Es war das Gefummel auf den Friedhofswegen, so sagte er, welches ihn offenbar aus tiefem Schlafe erweckt; doch kaum noch habe er sich wachend befunden, da seien ihm die grausenvollen Schrecken seiner Lage voll zu Bewußtsein gekommen.

Der Patient, wird berichtet, kam wieder gut zu Kräften und schien sich auf dem Wege zur völligen Genesung zu befinden, doch fiel er dann zum schlechten Ende noch den Quacksalbereien medizinischer Experimente zum Opfer. Man wendete die galvanische Batterie an, und er verschied ganz plötzlich in einem jener ekstatischen Paroxysmen, welche bei dieser Behandlung gelegentlich auftreten.   - Edgar Allan Poe, Das vorzeitige Begräbnis, in (poe)

Grab (2) Maupassant starb in einer Privatklinik im Pariser Vorort Passy, gleich neben dem Haus, in das sich Balzac auf der Flucht vor seinen Gläubigern eine Zeitlang zurückgezogen hatte und von wo aus man auf die Seine schauen konnte. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch verbrachte er seine letzten Monate in einem Dämmerzustand, unterbrochen von geheimnisvollen Besuchen, die vielleicht Visionen waren, vielleicht auch Erfindungen seines Dieners, den er von Flaubert übernommen hatte. Beigesetzt wurde Maupassant auf eigenen Wunsch ohne Sarg in der bloßen Erde. - Manfred Flügge, Nachwort zu (nov)

Grab (3)

Das Grab ist tief und stille
Und schauderhaft sein Rand;
Es deckt mit schwarzer Hülle
Ein unbekanntes Land.

Das Lied der Nachtigallen
Tönt nicht in seinem Schoß;
Der Freundschaft Rosen fallen
Nur auf des Hügels Moos.

Verlassne Bräute ringen
Umsonst die Hände wund;
Der Waise Klagen dringen
Nicht in der Tiefe Grund.

- Johann Gaudenz von Salis-Seewis, nach: Lyrik des 18. Jahrhunderts. Reinbek bei Hamburg 1968 (rororo klassiker 504/505)

Grab (4)  Mit leichtem Schauder sah Elena, daß in den Marmorsockeln der Altäre Glasfenster eingelassen waren, hinter denen Tote lagen. Vier Altäre standen in jedem Seitenschiff, und es gab ebenso viele Leute, die dem Ort Ehre gemacht hatten. Der erste war ein mittelalterlicher Krieger, die Rüstung verfallen, die Kleidung zerfetzt, zwischen den Schenkeln ein Langschwert. Der Kopf steckte in einem Helm und war nicht größer als eine Faust. In den folgenden Gräbern lagen zwei Geistliche, deren Köpfe bandagiert waren. Ihre vergilbten Kutten hatten sich dem Skelett angepaßt, was ihnen ein obszönes Aussehen verlieh. Der letzte in dieser Reihe war ein Edelmann, in einen schwarzen Mantel gehüllt, der einen Zylinder auf seinem Bauch liegen hatte, lederne Stiefeletten trug und einen Spazierstock mit Elfenbeinknauf besaß.

Im anderen Seitenschiff lag im ersten Grab eine Adlige, die in ein weißes Nachthemd gehüllt war und langes, graues Haar hatte. Man erkannte noch die Nase, die Augenhöhlen und die Form ihres Mundes. Sie wirkte entsetzlich alt, und Elena hatte den Eindruck, daß es grauenhafter sei, so alt zu werden, als zu sterben. Im zweiten Grab ruhte das Söhnchen eines Barons, ein zweijähriges Kind, bei dessen Tod sich zahlreiche Wunder ereignet hatten. Es war in ein langes Nachthemd gekleidet, hielt einen Rosenkranz in seinen kleinen, dunklen Händen und sah aus wie ein Engel aus Gips, der langsam zu zerfallen beginnt. Der nachste war ebenfalls ein Ritter mit einem gigantischen Helm, Eisenhandschuhen und Sporen. Er war während des zweiten Kreuzzuges zur Eroberung der heiligen Stätten von den Ungläubigen erschlagen worden.  - Giuseppe Fava, Ehrenwerte Leute. Zürich 2003 (zuerst 1975)

Friedhof
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